Er stürmt in Unterhosen auf die Bühne und wirft mit Gummibällen um sich. Gerade mal fünf Minuten nach Showstart schleudert er sich ins Publikum, sammelt mit dem Mikrofon Schreie ein und verarbeitet sie zu seinem ersten Beat. Das ist kein Konzert, hier wird im Kollektiv Dampf abgelassen.
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Bild 1 von 3. Schön verpackt: in der Hüpfburg, die eigentlich ein DJ-Pult ist. Bildquelle: Noëlle Guidon / SRF.
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Bild 2 von 3. Was auch immer er hier zu greifen versucht: Wir drücken die Daumen. Bildquelle: Noëlle Guidon / SRF.
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Bild 3 von 3. Auf Stimmenfang: Bitte schrei so unkontrolliert wie möglich. Danke. Bildquelle: Noëlle Guidon / SRF.
Während drüben vor der Sitterbühne Kraftklub im kühlen Nachtwind über die Menge schweben, feuert Rebillet im Zelt ein. Er gleicht einem verrückten Zeremonienmeister an einem Altar inmitten einer überdimensionierten Hüpfburg. Dort hämmert er wie vom Affen gebissen Beats in seine Loopgeräte, die keine Gnade kennen. Was dabei entsteht, sind improvisierte Ad-Hoc-Bangers, die sich aufbauen bis zum nächsten Beatdrop, zu dem er CO2-Kanonen abfeuert.
Ist das ... Techno-Comedy?!
Dass er ein versierter Musiker mit einer vermarktbaren Crazyness ist, hilft natürlich. Rebillet ist ein durchtrainiertes Performance-Monster. Aufgewachsen in Dallas, Texas, lebt er mittlerweile in New York – wo sonst als in der Stadt, die wohl genau so wenig schläft wie er selbst.
Was der 36-jährige franco-amerikanische Performance-Künstler der Menge um die Ohren peitscht, oszilliert zwischen Techno und Comedy, erinnert hier an die Partytauglichkeit von Deichkind, dort an die Impro-Kunst von Jamie Lidell oder Reggie Watts – mit einer Extraportion Steroiden. Und das steckt an. Oder turnt ab.
«Zeigt uns eure Muskeln, Muskel-Jungs!»
Für viele ist Rebillet auch einfach zu viel des Guten. Nicht so für die Horde Oben-ohne-Fans, die er auf die Sternenbühne holt (und liebevoll «Muscle-Boys» nennt), um mit ihm in seiner Hüpfburg zu feiern. Diese Szene zugespitzter Männlichkeit ekelt an, ist aber auch spassig absurd – und spiegelt, was Rebillet im Publikum vorfindet.
Ungeprobte Perfektion
Das beste an dieser Show ist, dass niemand weiss, was als Nächstes passiert, am wenigsten Marc Rebillet selbst. Er probt angeblich nicht – und macht dies zu seinem Geheimrezept. Das fasziniert, da man immer wieder zusehen kann, wie von Grund auf etwas Neues entsteht. Und da man fühlt, wie nah das Scheitern liegt. Was dieser Tanz über dem Abgrund ohne Fallnetz von Rebillet abverlangt, ist maximierte Einfühlsamkeit in das gefüllte Zelt vor ihm.
Von Youtube auf die Openairs
Die Gabe, sich mit Leuten in Verbindung zu bringen, ist hart erprobt: Während Covid fasst Rebillet erstmals richtig Fuss, postet im Bademantel Heimvideos und lernt, wie man im digitalen Raum Gefühle vermittelt und Leute begeistert. Später sorgt er auf öffentlichen Plätzen quer durch Amerika für Menschentrauben, die sich um ihn bilden, um Teil seiner Impro-Shows zu werden. Bis er letztlich auf den globalen Festivalbühnen landet, vom Glastonbury bis im Sittertobel.
Stimmigerweise trägt seine aktuelle Tour den schönen Titel «Places I've Never Played and Will Never Play Again». Die flüchtige Einzigartikeit seiner Konzerte wird damit gleich doppelt unterstrichen.
Zum Schluss gibt's dann doch noch sowas wie einen Hit an seinem OASG-Gig. Der virale Track «Your New Morning Call», den mittlerweile wohl mehr Menschen als Wecker auf ihrem Smartphone gespeichert haben, als es Menschen gibt, die seinen Namen kennen.