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Musik-Blog Rammsteins Provokastration

Nein, Rammstein sind keine Nazis. Ja, Rammstein beherrschen die Kunst der Provokation. Nein, ich bin kein Rammstein-Fan. Ja, was sie machen ist clever. Nein, es ist nicht ausschliesslich genial. Und ja, ich schreibe ungern über das Phänomen Rammstein.

Ich spreche ungern mit Leuten über Rammstein. Wieso? Immer wenn jemand die Band in der Luft zerreisst, fühle ich mich dazu genötigt, Rammsteins künstlerischen Anspruch und Wert zu verteidigen. Und immer, wenn jemand diese Band in den Himmel lobt, verspüre ich den Drang, ihre Relevanz zu relativieren. Es ist ein bisschen wie bei DJ Bobo. Mit dem Unterschied, dass Rammstein ein bisschen mehr als Unterhaltung ist.

Gregi Sigrist

Gregi Sigrist

Musikjournalist für Pop/Rock von Schweizer Radio und Fernsehen

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Im Musik-Blog schaut er auf, unter und hinter aktuelle Musikthemen und ihre Nebengeräusche.

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Nehmt es nicht persönlich, aber …

… ich finde bedingungslose Rammstein-Fans genauso schwierig wie Leute, die Rammstein und ihr Schaffen als komplett wertlos abstempeln. Das ist ein Problem. Mein Problem. Ich mache mir auf beiden Seiten Feinde und beende jede Diskussion über diese Band mit dem Vorsatz, nicht mehr über diese Band zu diskutieren. Einmal mehr: Tschüss Vorsatz.

Rund drei Stunden dauerte es bis das Konzert von Rammstein im Stade de Suisse in Bern ausverkauft war. Kein Wunder. Schliesslich reden wir von der perfekten Schlagerband für Leute, die eigentlich keinen Schlager mögen. Diesen Satz könnte man auch auf die späten Jahre der Toten Hosen anwenden – mit dem Unterschied, dass er da unmissverständlich wäre. Bei Rammstein ist er das nicht – und das öffnet das wirkungsvolle Spannungsfeld dieser Band, welches ich als Bestandteil ihres Erfolgsrezepts sehe.

Zwar textet die Band zum Teil mit spitzer Feder. Geschrieben wir dann aber mit dem dicken Edding-Marker. Für viele das höchste der Gefühle. Für mich kastriert sich die durchaus geistreiche Provokation dadurch ziemlich oft selbst.

Starke Worte in einer Ballung eliminieren deren Kraft

Die Tracklist des neuen Rammstein-Albums hilft einen Teil des Erfolgs der Band und meines Problems mit dieser Band zu illustrieren. DEUTSCHLAND / RADIO / ZEIG DICH / AUSLÄNDER / SEX / PUPPE / WAS ICH LIEBE / DIAMANT / WEIT WEG / TATTOO / HALLOMANN. Wo ist das schwache Wort? Richtig. Nirgends. Wo sind die starken Wörter? Überall. Hier fliegen mir elf Songs in Form von überentwickelten Düsenjets entgegen.

Alles ist gross und stark und mächtig und wichtig und … wirklich? Nein. Nicht wirklich. Aber diese Band ist im Kern zu laut, um den leisen Zwischentönen den Platz einzuräumen, den sie verdient hätten. Wer mit der Brechstange provoziert, muss damit rechnen, dass das Publikum bei der Konsumation Schutzbrillen trägt. Das scheint Rammstein jedoch nicht zu kümmern. Die Wucht der Provokation scheint wichtiger als alles, was man damit auslösen könnte.

Ist das System Rammstein einfach nur billig?

Nein. Rammstein sind keine Hohlköpfe. Ihre Provokation und ihre Performance ist durchdacht. Ihre Referenzen aus Geschichte und Literatur passieren mit grosser Sorgfalt. Sie sind sich ihres Tuns, dessen Wirkung und was dabei auf der Strecke bleibt, bewusst. Gleichzeitig sind Rammstein Gefangene ihrer eigenen Kunst. Mir scheint: Je enger sie ihr Provokationskorsett schnüren, desto breiter wird die Masse, die sie mit ihrer Kunst erreichen.

Musikalisch bieten Rammstein schlagerhafte Heimatgefühle

Auch wenn Rammstein ihre Klangbilder weiterentwickeln, bleiben sie im Grundgerüst bei Kompositionen, die sich im Bereich von zentrierten Elfmetertoren ohne Torwart bewegen. Geschossen wird scharf, gezielt und risikolos. Immer schön tief rein in die populären offenen Wunden der Gesellschaft. Irgendwie Boulevard. Schlager. Auffallen um jeden Preis. Nie im Leben würden Rammstein einen kleinen Song schreiben, der nur für sie wichtig ist. Diese Magie, die für mich im Pop so zentral ist, spielt in Rammsteins Popverständnis keine Rolle. Das ist ihr gutes Recht. Aber einigermassen langweilig. Fast wie Musicals.

Die grosse Bühne

Unheimlich stark, nicht sehr zeitgemäss und daher grossartig ist Rammsteins Popverständnis, was sie unter einem Auftritt verstehen. Die Bühne gehört der Band. Den Fans auf gleicher Augenhöhe begegnen dürfen andere. Rammstein haben mit Till Lindemann einen Frontmann der alten Schule. Ausserirdisch. Undurchsichtig. Rätselhaft. Eine Figur. Kein Popstar zum Anfassen. Eine Gestalt zum Aufhängen. Als Poster oder Bild. Wenn man das möchte.

Solche Figuren sind im Pop-Zirkus vom Aussterben bedroht. Wie Pottwale. Trotzdem verkaufen sich Rammstein-Tickets schneller und besser als Whalewatching-Angebote. Und das hat nicht nur mit der garantierten Sichtung der Spezies zu tun.

Die Gunst der Kunst

Rammstein haben einen Weg gefunden anzuecken. Sie spielen damit, missverstanden zu werden. Sie schmieden ihre Songs mit heissen Eisen. Sie knallen ihre nachdrücklich mehrschichtigen Stechschrittparolen mit brachialer Gewalt in die Manege und lassen sie da unkommentiert von der Leine. Das ist nicht sonderlich mutig, begeistert aber stadionweise Fans. Und es führt dazu, dass ich eine von mir ungeliebte Diskussion über eine von mir nicht favorisierte Band bestimmt noch einige Male führen werde.

Ich bin mir übrigens sicher: Wenn das Wort „Gänseblümchen“ ein Reizwort wäre, gäbe es längst einen Rammstein-Song mit diesem Titel. Der Text? In etwa so:

Ich seh dich. Ich knick dich. Ich stell dich ein. Du bist allein. Gänseblümchen.

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