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Nemos grosser ESC-Triumph 2024 Die Schweiz hat sich mit «The Code» besoffen

Ich bin kein ESC-Fan. Wirklich nicht. Wäre da nicht diese Figur mit diesem Lied aus unserem Land gewesen, hätte ich die Veranstaltung, wie in vielen anderen Jahren, im Nachhinein und im Schnelldurchlauf geschaut. Schliesslich ist der ESC seit Jahren musikalisch in etwa so aufregend wie die Spannungskurve einer Ballon-d’Or-Vergabe für Hockey-Fans.

Aber natürlich ist der ESC ein Spektakel, und in diesem Jahr war er, besonders für die Schweiz, noch ein bisschen mehr. Dieser Song, dieser Act, diese Performance, diese Message – bei Nemo stimmte das Gesamtpaket perfekt. Ein Kunstwerk, welches es ohne diese Veranstaltung nicht ins grelle Scheinwerferlicht geschafft hätte.

Wenn der Mainstream aus der Nische schiesst

Ohne den ESC als Träger von «The Code» hätte es bei diesem Song nicht «knack» gemacht. Natürlich wurde der Titel für den ESC konzipiert. Natürlich ist da viel Kalkül dabei. Aber auch eine richtig grosse Portion Mut. Das Ding hätte auch in eine andere Richtung loszischen können. Dabei wäre es nicht weniger gut oder weniger dringlich gewesen. Einfach weniger populär. So funktioniert Pop-Musik.

Nemo hat mit «The Code» musikalisch transportiert, was Nemo persönlich und gesellschaftlich beschäftigt. Und bewegt damit wahrscheinlich gerade etwas. Wieviel wird sich zeigen. Denn obwohl es 2024 ist und die Schweiz Nemo gerade in Federer-Manier verehrt – hörte ich in den letzten Tagen doch sehr oft Sätze wie «Das isch e geile Siech» oder «und die Stimm wo dä het». Vielleicht ist das Licht im Moment einfach zu grell und die Korken knallen zu laut, um sich im Alltag ernsthaft mit den Tönen zu beschäftigen, die den Song geschrieben haben.

Nemos Sieg bedeutet alles und nichts

Natürlich ist das, was da passiert ist und passiert, riesengross. Für die Schweiz sowieso. Für Nemo. Klar. Und doch: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Nemo irgendwann auf diesen einen Song und dieses eine Ereignis reduziert wird. Und das ist wunderschön. Denn dafür war vorher schon zu viel da, und da wird auch in Zukunft noch viel passieren. Da bin ich mir ganz sicher. Nemo ist zu clever und verspürt zu viel Dringlichkeit, um jetzt zu Hause tagelang den ESC-Pokal anzuschauen.

Und wenn wir auch clever sein wollen, dann öffnen wir die Augen und Ohren. Und das besonders da, wo keine Scheinwerfer stehen, die den Kern der Kunstwerke verbrennen – sondern da, wo die Töne zu hören sind, aus welchen Songs wie «The Code» entstehen.

Gregi Sigrist

Musikredaktor

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Sigrist ist Musikredaktor beim Radiosender SRF 3. Online schaut er in seinem Musik-Blog auf, unter und hinter aktuelle Musikthemen und ihre Nebengeräusche.

G&G Spezial, 12.05.2024, 20:10 Uhr

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