Nicht in alter Frische – und doch erstaunlich frisch fürs Alter standen Klaus Meine (77), Rudolf Schenker (76), Matthias Jabs (69) & Co. auf der Bühne des Moon & Stars Festival. Vor 15 Jahren spielten sie ihre vermeintliche Abschiedstour. Doch der Ruhestand ist bekanntlich kein guter Freund von legendären Bands. Eher ruhig stand dafür das Publikum auf der Piazza Grande und es scheint allen klar – nach dieser Tour ist Schluss!
Dem Deutschsein entfliehen wollten sie, als ihre Karriere Mitte der 70er Fahrt aufnahm. Doch die Band war stets mehr Hannover als Hangover. Heute haben die Scorpions einen eigenen Whiskey, ein eigenes Bier, eine nach ihnen benannte Strasse und neuerdings sogar eine Briefmarke. Da steht Rock’n’Roll drauf. Auf der Marke.
Allüren? Skandale? Keine. So ist das in der Band von Klaus Meine. Höchstens die frühen und teils provokativen Album-Covers sorgten für Aufschreie. Die Scorpions sind präzise, fleissig, ehrgeizig. Ihre frühen Werke laut und musikalisch aufregend. «Virgin Killer» (1976) ein betörender Klassiker, der auf der aktuellen Tour aber nur innerhalb eines Medleys kurz tangiert wird.
Mehr als 120 Millionen Tonträger verkauften die Musterschüler des zivilisierten Hard Rocks. 5000 Konzerte in über 80 Ländern. Der Welterfolg ist unbestritten. Hat man die Bilder ihrer grossen Momente vor Hunderttausenden von Fans vor Augen, wirkt die Veranstaltung in Locarno wie eine Abdankung im kleinen Rahmen.
Eine Beerdigung ist das hier aber nicht. Fit in den Fingern zeigt sich das Gitarren-Team Schenker/Jabs. Mehr kämpfen muss Klaus Meine mit seiner Gesangsperformance. Aber das muss man in den richtigen Kontext setzen. Wer würde 2025 von Pirmin Zurbriggen (62) einen Podest-Platz am Lauberhorn erwarten? Eben. Und so ist das auch mit Meine.
Die Hard Rock-Stagnation
Abgeklärt arbeiten sich die Scorpions durch ihre Show, die seit locker 30 Jahren kein Systemupdate mehr gekriegt hat. Als der frühere Motörhead-Drummer Mikkey Dee (61) in der Endlosschlaufe des obligaten Schlagzeugsolos landet, hat der Wind bei mir längst gedreht. Ah ja. Da war doch was...
Wind Of Change
In keinem anderen Song kommt das deutsch-akzentuierte Englisch von Meine so unangenehm zum Vorschein, wie bei «Wind Of Change». Und wird nicht gesungen – wird gepfiffen. Der schlimmste Pfeifsong der Popgeschichte – und Hauptgrund, wieso ich mich damals von all meinen Scorpions-Shirts getrennt habe – wird auf der Piazza gefeiert. Das grosse Mitpfeifkonzert. Soll ich mich drauf einlassen? Nicht in diesem Leben!
Was ich den Scorpions hoch anrechne: Sie spielen ihren grössten Hit mitten im Set und nicht etwa als letzten Song. Das zeugt von Stil und unterstreicht, dass hier das Gegenteil eines One-Hit-Wonders auftritt. Knapp 20 Songs (gespickt mit Hits und Fanmaterial) dauert das Set – bis sich die Scorpions mit «Rock You Like A Hurricane» verabschieden.
Was bleibt nach 100 Minuten Scorpions?
Respekt für eine beispiellose und beeindruckend lange Karriere, die für mich nur relativ kurz aufregend war. Respekt vor den Herren Jabs, Schenker, Meine und was sie in ihrem Alter auf der Bühne leisten. Die Gewissheit, dass ich «Wind Of Change» wirklich nie mehr hören will und Dankbarkeit, dass ich der Band, deren Schriftzug ich als Teenager auf meinen Shirts trug, einigermassen würdevoll Lebewohl sagen durfte.