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Legende: Züri West / SRF

Songtextanalyse Züri West: bitterer Abschiedsgruss

Es stecken viele Geschichten und viel Geschichte im aktuellen Album der Berner. Ein Song, bei welchem viel Geschichte glasklar durchkommt, fuhr mir eiskalt ein. Eine Spurensuche in «Schnee vo Philadelphia».

Musikalisch ist «Schnee vo Philadelphia», das mit Abstand wärmste und vielleicht beste Stück des Albums «Loch dür Zyt». Inhaltlich tief und aufwühlend. Und sehr verbittert.

Mit wem rechnet Kuno Lauener in diesem Song so hart ab? Schaut man genau hin, wird sehr schnell viel klar. Ok Sherlock. Lass uns anhand des Songtextes Fragen beantworten: Geht es hier um eine alte Liebschaft? Nein.

«We eine gäng dr gliich Schisdräck bietet. Intressiert ’s eim eifach nümm»

Also ein Mann. Ein alter Freund oder Wegbegleiter. Eine Person, die eine grosse Wichtigkeit gehabt haben muss. Und unter anderen Umständen ganz offensichtlich auch noch hätte haben können.

  «Was hätte mr no chönne? E huuffe würd i säge. U was hätte mr no müesse? Nüt!»

Es muss geknallt haben. Oder hätte es knallen müssen? Auf alle Fälle gab es unüberwindbare Differenzen. Da ist so viel Tiefe. So viel Schmerz und Bitterkeit in dieser Verarbeitung. Oder ist Abrechnung der treffende Begriff dafür?

«Vieu chunnt mr nid i Sinn. Viellech dr Schnee denn z’ Philadelphia»

Philadelphia! Da war die Band Mitte 90er, um das Album Hoover Jam aufzunehmen. Ein Bandmitglied also. Oder der damalige Züri West-Manager Hans Schneeberger? Nein. Ausgeschlossen. Schneebergers Ausscheiden war zwar ein herber Verlust für die Band, hat aber nichts mit Differenzen zu tun, sondern mit einem tragischen Unfall.

Gitarrist Peter «Sibi» von Siebenthal? Nein. Sibi stieg zwar ein Album später aus. Aber diese Verarbeitung hätte garantiert früher stattgefunden. Bassist Martin Gerber? Nein. Er verliess die Band nicht freiwillig. Wenn, dann müsste er verbittert sein. Wer bleibt übrig?

 «E Struuss bleichi Erinnerige. Jede die won ’r no het»

 Schlagzeuger Gert Stäuble. Der Mann, der vor dem selbstbetitelten oder auch «Gäubi Schiibe» genannten Erfolgsalbum zur Band stiess, dieses massgeblich prägte und das Demotape herstellte, aus welchem dann Züri Wests Überhit «I schänke dr mis Härz» entstand.

«Aber guet isch jitz vrbii. Schad hei mr nie rächt zäme gredt»

Gert Stäuble stieg 2021 aus der Band aus. Die Gründe für seinen Abgang wurden damals weder kommuniziert noch kommentiert. Lauener bestätigte gegenüber SRF 3, dass sich dieser Text auf Stäuble bezieht.

Und jetzt?

Ich bleibe etwas ratlos, wenn ich daran denke, dass die Emotionen dieser offensichtlich unüberwindbaren Differenzen den Weg über einen Song an die Öffentlichkeit fanden. Und, glaubt man dem Songtext, nicht am Küchentisch diskutiert wurden. Immerhin waren Stäuble und Lauener 27 Jahre lang in derselben Band, haben zusammen hunderte Konzerte gespielt, grosse Songs und Hits geschrieben.

Was macht Gert Stäuble heute?

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Gert Stäuble spielt heute Schlagzeug bei Bubi Eifach und hat im letzten Jahr zusammen mit Ex-Züri West-Bassist Wolfgang Zwiauer, Lunik-Mastermind Luk Zimmermann, den Sängerinnen Sophie Grimes, Finja Keogh und Pianistin Maja Nydegger die Band Alva Leaves gegründet.

Was den Song «Schnee vo Philadelphia» aber zu viel mehr macht, als zu der Geschichte, die dahintersteckt, ist seine Allgemeingültigkeit. Das Potenzial eigene Geschichten, Beziehungen, Verarbeitungen aus dem Song zu lesen. Das ist die ganz grosse Qualität von exzellentem Songwriting.

SRF 1, 20.12.2023, 17:20 Uhr

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