Hip-Hop-Songs werden immer ähnlicher, schuld ist Spotify. So die zugespitzte Zusammenfassung einer kürzlich erschienenen Studie bei Cambridge University Press. Zwei Wissenschaftler haben Hip-Hop-Songs von 2002 und 2022 verglichen, unter anderem in Bezug auf Songlänge, Tempo, Tonart und verwendeten Samples. Fazit: Die Songs seien homogener, generischer und unauthentischer geworden.
Die Songs von 2002 stammen von Chartlisten, diejenigen von 2022 von der Spotify-Playlist RapCaviar. Es stellt sich allerdings die Frage, wie repräsentativ eine Spotify-Playlist für ein gesamtes Musikgenre sein kann. Playlists sind darauf ausgelegt, mehr vom Gleichen zu versammeln, so wie es Best Of CDs in den 90er-Jahren auch waren.
Anderes Abspielmedium, andere Musik
Neue Technologien und Abspielmedien hatten immer schon Einfluss auf Musik. Als Radios in den 1920er-Jahren aufkamen, setzten die Sender in erster Linie auf massentaugliche Songs und kurbelten so die Produktion populärer Musik an.
1948 löste Vinyl die schweren, zerbrechlichen Schellackplatten ab. Das neue Material erlaubte mehr Speicherkapazität und eine Spieldauer von rund 25 Minuten pro Seite für LPs. Auf die kleinere 7-Zoll-Single (18 cm) passten maximal fünf Minuten. Ein Blick in die Charts der 1950er-Jahre zeigt, dass Songs in der Regel zwischen zwei und drei Minuten lang waren, also ideal für das Format einer 7-Zoll-Single.
Als 1982 die CD eingeführt wurde, bot diese 74 Minuten Spielzeit und das ermöglichte längere Songs mit opulenten Intros und Hidden Tracks.
Michael Jackson brauchte 6:01 Min für seinen «Thriller», Prince für «Purple Rain» 8:41 Min und auf dem Dire-Straits-Album «Brothers in Arms» sind gleich fünf Songs, die über sechs Minuten dauern.
1995 läutet MP3 den Startschuss für die digitale Musikrevolution ein und legte die Basis für Streaming-Dienste. Heute ist Musik praktisch immer und überall verfügbar und auch kleine Acts haben die Möglichkeit, ihr Schaffen global zu präsentieren. Weil sehr viele Fische im digitalen Teich schwimmen, wurde Aufmerksamkeit zur wichtigsten Ware, was sich wiederum auf das Musikschaffen auswirkt.
Aufmerksamkeitsökonomie
Zum einen wurden Popsongs in den 00er-Jahren wieder kürzer und dauern heute im Schnitt drei Minuten. Lange Intros gibt es kaum noch, weil ein Song möglichst schnell Charakter und Genrezugehörigkeit offenbaren soll. Es gilt, die Hörerschaft in den ersten Sekunden zu catchen, nicht geskippt zu werden. Entsprechend steigen Songs oft mit dem Hook oder einer starken Melodie ein.
Zahlen von Streamingdiensten dienen als Indikator für Popularität und sind entsprechend ein wichtiger Faktor, um Live-Auftritte anzukurbeln. Musiktheoretiker Hubert Léveillé Gauvin stellt gar die These auf, dass Songs auf Streamingplattformen nur noch als Werbung für die Marke einer musikschaffenden Person dienten.
Keine neuen Tricks
Dass die Technologie von Abspielmedien Musik beeinflusst, ist nicht von der Hand zu weisen. Gleichzeitig ist der Versuch, gefällige Songs zu schreiben und ein Publikum möglichst rasch einzunehmen, nicht neu. Schlagerstars haben dieses Handwerk schon früh perfektioniert.
Ausserdem gibt es sehr viel Musik, die nicht nach gängigem Muster gestrickt ist und trotzdem Erfolg hat. Monatlich hören sich zum Beispiel fünf Millionen den experimentellen Rap der Britin Little Simz an - auf RapCaviar ist sie nicht zu finden.