Amy Winehouse wäre stolz auf sie: Das Gesangstalent, das Divenhafte, der Hang zur Selbstzerstörung, die englische Strassenköter-Realness, das sympathische Verfluchen der Welt, die süffigen Popsongs – Lola Young bietet alles. Und damit eine spannende Alternative zum glattgebügelten Idealbild aktueller internationaler Popstars. Sie bringt den Rotz zurück in den Pop.
Auf ihrem dritten Album setzt die 24-jährige Süd-Londonerin auf Selbstliebe: Auf dem Cover umarmt sie eine Gummipuppe, die Youngs eigenes Gesicht trägt. Darüber steht «I'm Only F**cking Myself», das Wort «F**cking» durchgestrichen, womit schon im Albumtitel klargestellt wird: Diese Frau will einfach nur sich selbst sein.
Anders als die Anderen
Selbstliebe ist für die 24-Jährige nicht so einfach, denn vieles an ihr ist vielschichtig: Ihre Wurzeln, als Tochter einer Britin und eines jamaikanisch-chinesischen Vaters, ihre Gefühle und letztlich auch ihre Musik. Fix ist: Hinter der Schminke, den Piercings und dem knorrigen Englisch, versteckt sich jene britische Pop-Stimme, die aktuell international am meisten fasziniert. Als Gastsängerin bei Tyler, The Creator oder TikTok-Pick von Kylie Jenner zum Beispiel.
Wieso? Weil sie Talent hat und weil sie offen über ihre Probleme spricht. Als der Song «Messy» anfangs 2025 in die Charts einstieg, landete Young in der Reha, um vom Kokain loszukommen. Lola Young weiss, wie man Abgründe in musikalische Höhepunkte verwandelt.
Neues Album, neue Abgründe
Das gelingt ihr über weite Strecken auf dem neuen Album. Die Ausgangslage: Der Liebeskummer ist vorbei, jetzt wird nochmals ordentlich auf den Putz gehauen. Dem Sex («Fuck Everyone»), den Süchten («D£aler») und Sehnsüchten («Spiders») gefrönt. Bis sie die Realität einholt. Konsequenterweise besteht das Album auch aus lauter Gegensätzen, aus gut verzahnten «Bangers» und Balladen. Konstant bleibt dabei die Direktheit ihrer Texte, die Tagebuch-Sprache. Auch wenn sie gegenüber dem Guardian zugibt, dass so direkt über Sex zu singen, auch eine Art Maske sei.
Je verzweifelter, desto stärker. Dies gilt auch für die fast schon peinlich intimen Momente. Wenn sie auf «Who Fucking Cares» singend offenbart, dass sie sich nicht mehr nach draussen traut und sich selbst nicht mag. Dass sie nicht mehr weiss, was Glück bedeutet. Und sich wundert, wie gut der Sex ihres Ex-Freundes wohl gerade ist. Um dann zu erklären, dass all dies niemanden interessiere, am wenigsten sie selbst – was in sich auch wieder eine Enthüllung ist, weil es unüberhörbar sehr wohl schmerzt.
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Bild 1 von 3. Frischer Retro-Chic: Beim Song «D£aler» wirkt sogar ein Gitarren-Boogie-Blues wieder jung, der seit den 1970ern alt klingt. Bildquelle: Universal.
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Bild 2 von 3. Auf der Suche nach «Spiders»: Lola Young am Videodreh zum Song «One Thing». Bildquelle: Universal.
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Bild 3 von 3. Gewinnerinnenlächeln: «I’m Only F**cking Myself» wurde Anfangs 2025 geschrieben und mit ihren Langzeit-Kollaborateuren Manuka und SOLOMONOPHONIC (Brockhampton, SZA) aufgenommen. Bildquelle: Universal.
Elton verwettet sein Haus
Trotz aller Dunkelheit schimmert auch Humor durchs Album. Der zeigt sich auch in der Gummipuppe auf dem Cover, obwohl das Bild den guten Songs nicht unbedingt guttut. Das Album ist spannender, als sein Cover. Nicht zuletzt, wegen der Beats, die experimentierfreudig sind und dennoch Pop bleiben. Die Produktion allein hat einen Pokal verdient. Findet auch Sir Elton John.
Ebendieser wettete im Juli sein 15 Hektar Anwesen darauf, dass «D£aler» ein Nummer-1-Hit wird. Passierte beides nicht, weder der Hausverlust, noch der Hit (UK: Platz 27, CH: nicht in den Charts). Elton Johns Prophezeiung, dass Lola Young eine grosse Karriere bevorsteht, wird sich dennoch bewahrheiten. Denn ihr Pop muss sich weder hinter einer Gummipuppe noch hinter sonst was verstecken.