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Förderung der Biodiversität Was haben Hochlandrinder und andere Nutztiere im Wald verloren?

Waldweiden wurden vor über 100 Jahren verboten. Trotzdem gibt es sie wieder. Vorreiter ist der Kanton Aargau.

Am Geissberg bei Brugg grasen zehn schottische Hochlandrinder in einem Föhrenwald. Die zotteligen Tiere stapfen durch das Gras und hinterlassen Furchen im Boden. Ein neuer Lebensraum für Insekten und seltene Pflanzen entsteht. Die Rinder lichten den Wald aus, was die Biodiversität fördert. Gut sichtbar wird das etwa an Mistkäfern, die über die Kuhfladen krabbeln.

«Dieser Wald muss unterhalten werden, damit er nicht verbuscht», erklärt Florin Rutschmann von creaNatira. Die Tochterfirma von Pro Natura Aargau betreut die Waldweideprojekte im Aargau. Die Tiere übernehmen damit die Arbeit von Maschinen, die sonst für mehr Licht im Wald sorgen müssten.

20 Waldweiden im Aargau

creaNatira setzt an verschiedenen Orten Tiere ein, um die Natur zu pflegen. In Auenschutzgebieten sind es Wasserbüffel, die sie sich von Schilf und Sumpfpflanzen ernähren.

Ziegen helfen bei der Bekämpfung von Brombeersträuchern. Und am Geissberg sorgen nun Hochlandrinder dafür, dass der Wald licht und die Natur dadurch vielfältig bleibt.

Normale Milchkühe würden in diesem Gebiet am Geissberg in Brugg übrigens nicht glücklich werden. Sie würden nämlich nicht genug Nahrung finden. «Deswegen setzen wir hier schottische Hochlandrinder ein», erklärt Florin Rutschmann.

Waldweiden sind eigentlich verboten

Die Nutzung des Waldes als Weidefläche war früher weit verbreitet. Vielerorts war der Wert der Wälder als Weide sogar grösser als für die Holznutzung, schreibt die eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft. Vor allem die Schweinehaltung in Wäldern war sehr beliebt.

Waldweiden in der Schweiz

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Bis Ende 19. Jahrhundert prägten weidende Tiere die Landschaft im Schweizer Mittelland. Die Tiere wurden ganzjährig auf den Weiden, Brachen, Streuwiesen und im Wald gehalten, wo sie sich von Gräsern und Kräutern, aber auch vom Laub der Bäume ernährten. Es entstand ein lichter Niederwald mit reicher Biodiversität und Lebensraumvielfalt.

Die scharfe Trennung von Wald und Landwirtschaftsland wurde erst 1876 mit dem Eidgenössischen Forstpolizeigesetz eingeführt. Durch die stetig wachsende Bevölkerung und den damit verbundenen Land- und Holzhunger hatte die Waldfläche massiv abgenommen, sodass die Obrigkeit per Gesetz den Wald schützen musste. Fortan war die Waldweide für alle Nutztiere verboten. (Forstpolizeigesetz 1902)

(Quelle: Acroscope)

Revival der Waldweiden

1997 hat Pro Natura Aargau mit Pilotprojekten zur Waldweide begonnen. Ziel war es, erste Erfahrungen mit der naturschutzorientierten Beweidung zu sammeln. Die gewonnenen Erfahrungen sind aus Sicht der Expertinnen und Experten beim Kanton überwiegend positiv. Die Naturschutzorganisation Pro Natura Aargau hat mit ihren zahlreichen Projekten eine Pionierrolle übernommen.

Waldweiden sind bewilligungspflichtig. Weitere gibt es u.a. auch im Kanton Solothurn.

Die Bewilligung erfolgt auf kantonaler Ebene durch die zuständigen Forstbehörden.

1902 wurden Waldweiden jedoch wegen Übernutzung verboten. Die Wälder haben sich seither erholt – «aber sie sind auch dunkler geworden», sagt Matthias Betsche von Pro Natura Aargau.

Wenn man Rinder, Schweine und Ziegen flächendeckend in die Wälder treiben würde, hätte der Wald wohl ein Problem.
Autor: Matthias Betsche Pro Natura Aargau

Vor 20 Jahren startete Pro Natura unter strengen kantonalen Auflagen wieder mit Waldweideprojekten. «Die Wälder sind wieder lichter geworden. Wir können zeigen, dass die Natur davon profitiert», sagt Betsche.

Lösung für den Verlust von Fruchtfolgeflächen?

Die Landwirtschaft beklagt seit Langem den Verlust von Fruchtfolgeflächen. Könnte die Verlagerung von Viehbeständen in den Wald eine Lösung sein? Matthias Betsche winkt ab: «Wenn man Rinder, Schweine und Ziegen flächendeckend in die Wälder treiben würde, hätte der Wald wohl ein Problem.» Die heutigen Tierbestände seien viel grösser als vor 1902.

Doch punktuell seien Waldweiden ein Gewinn für die Natur: «Die Projekte im Aargau zeigen, dass es funktioniert. Es würde sich lohnen, Waldweiden auch in anderen Kantonen zuzulassen», sagt der Geschäftsführer von Pro Natura Aargau.

Radio SRF 1, 21.08.2025, 15:15 Uhr

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