Um sich der Jugendkultur «Games» anzunähern, sollen sich Eltern zusammen mit ihren Kindern aktiv damit beschäftigen. Das ist die Empfehlung am Schluss des SRFDOK-Films «Kinder im Netz» von Michèle Sauvain. Ich bin der Meinung: Das ist ein guter erster Schritt – geht aber viel zu wenig weit.
Warum? Weil es die Aufgabe von Erwachsenen ist, Kindern beim Umgang mit Medien zu helfen. In jedem anderen Lebensbereich wäre das selbstverständlich. Erwachsene sind aufgrund ihrer Lebenserfahrung in der Lage, Kinder vor Fehlern zu schützen.
Dann sind Sie Analphabet oder Analphabetin!
Das müsste auch für Games gelten. Doch zu viele Eltern verweigern sich dem Medium. Sie haben häufig nicht einmal elementarste Kenntnisse oder Fähigkeiten in diesem Bereich. Vielleicht gehören Sie auch dazu. Dann sind Sie Analphabet oder Analphabetin – Sie können die Sprache der Games nicht lesen.
Dass es unter diesen Umständen unmöglich ist, die erzieherische Aufgabe wahrzunehmen, müsste einleuchten. Wenn Sie nicht lesen können: Wie sollen Sie abschätzen, ob Dostojewski lesenswerte Bücher geschrieben hat? Wie wollen Sie allfällige Risiken erkennen, wenn Sie jemandem beim Lesen nur zuschauen oder nur darüber sprechen? Sie können Ihren Kindern nicht eine Bildungsaufgabe übertragen, der sie aufgrund ihres Alters gar nicht gewachsen sind.
Die Wirkung von Games kann nur verstehen, wer selber spielt.
Games gibt es seit gut 40 Jahren. Rund zwei Milliarden Menschen spielen heute, die meisten davon sind erwachsen. Die Game-Industrie ist mit 100 Milliarden Franken Umsatz pro Jahr ganz sicher kein Nischenmarkt. Trotzdem stöhnen nun wohl einige von «neuen» Medien geplagte Eltern auf – denn ein völlig fremdes Medium kennen zu lernen, ist ein beträchtlicher Aufwand. Reicht Einlesen und Zuschauen wirklich nicht?
Nein, denn Games sind ein interaktives Medium. Sie entfalten beim blossen Zuschauen nicht die gleichen Emotionen wie beim Spielen. Sie werden die Wirkung von Games deshalb nur verstehen können, wenn Sie selber gamen.
Ich beobachte das immer wieder, wenn mir jemand beim Spielen eines Schiessspiels über die Schulter schaut, der noch nie ein solches Game gesehen hat. Die häufigste Reaktion ist Besorgnis: Die Bilder erinnern an echten Krieg, an echte Gewalt und wirken gefährlich. Gebe ich dieser gleichen Person den Kontroller in die Hand, drückt sie auf einen Knopf, etwas explodiert – und fast immer huscht ein Lächeln über das Gesicht. Das zeigt, wie gross der Unterschied zwischen Zuschauen und selber Spielen ist.
Damit will ich keineswegs das Genre der Schiessspiele anpreisen – Sie entscheiden, welche Inhalte Ihre Kinder wann erleben. Denn wichtiger als das blosse Verhindern von Fehlern ist das Bilden von Geschmack.
Bilden Sie Ihren Geschmack.
Welche Spiele finden Sie so gut, dass Sie möchten, dass auch Ihre Kinder sie spielen? Welche Inhalte oder Tätigkeiten in Games finden Sie dumm, sinnvoll, verwerflich, anregend, langweilig, überraschend – und warum? Was ist Hochkultur, was ist Schund? Was ist zu viel und was ist genug? Diese Fragen können Sie nur beantworten, wenn Sie sich einigermassen gewandt im Medium bewegen – wenn Sie lesen lernen.
Abnehmen kann Ihnen diese Aufgabe niemand. Beim ersten Einstieg helfen wir aber gern: Unsere «Let’s Play»- und Review-Videos zu aktuellen Games finden Sie hier: www.youtube.com/srfdigital