Mit zitternder Hand hält Tom sein Dosenbier und raucht Kette. Jeden Tag sitzt er am selben Platz in der Sofa-Ecke der Garage. «Wir haben als Randständige hier eine Art Zuhause gefunden», erzählt der 55-Jährige.
Seine schwangere Frau verlor bei einem Autounfall ihr Leben, Tom betäubte den Schmerz mit Drogen. Das ist nun 31 Jahre her. Zwar ist er mittlerweile weg von harten Substanzen, dem Alkohol aber, ist der Arbeitslose noch immer verfallen.
Mit 24 Jahren am Tiefpunkt
Auch Annas Lebensmittelpunkt ist die Garage. Als Neugeborenes einer heroinabhängigen Mutter machte sie schon als Baby einen Methadon-Entzug durch.
Neben instabilen Familienverhältnissen und Mobbing in der Schule kam auch noch der Selbstmord ihres Freundes dazu. Anna versuchte bereits als Jugendliche dem Alltag mittels Kokain und Heroin zu entrinnen. Seit vier Jahren ist die 24-Jährige weg von harten Drogen, ihre Sucht hat sie auf den Alkohol verlagert.
Verein «Checkpunkt»
Anna und Tom sind zwei der rund fünfzehn Menschen, die täglich Zeit in der Garage verbringen. Der sogenannte «Checkpunkt» ist ein Verein. Die Männer und Frauen hier organisieren sich, mit Unterstützung von aussen, mehrheitlich selbst.
Mit dem «Checkpunkt» haben sie einen Ort geschaffen, wo ihre Geschichte akzeptiert und verstanden wird. Hier erhalten sie den Platz, den sie in der Gesellschaft verloren haben. Aber auch hier gibt es klare Regeln.
So ist zum Beispiel der Konsum von Drogen und hartem Alkohol verboten. Eine Ausnahme gibt es nur für die wodkasüchtige Anna. Sie darf jeweils einen Becher pro Tag mit in den «Checkpunkt» bringen.
Unhaltbare Situation
Bevor es den «Checkpunkt» gab, traf sich die Szene in Burgdorf bei der «Rampe» vor der alten Butterzentrale, einem verlassenen Gebäude im Bahnhofsviertel. Innerhalb der losen Gruppierung kam es praktisch täglich zu Auseinandersetzungen und Gewalttätigkeiten.
Für Anwohnende war der oft bis tief in die Nacht andauernde Lärm eine grosse Belastung. Einer der Nachbaren, Cuno Frommherz, stand im Clinch mit den Menschen bei der Rampe. Eine Besserung traf auch nach vielfachen Mahnungen nicht ein.
«Der Unmut wurde grösser und grösser. Nachdem ich schon Mieter verloren hatte und selber aufgrund des Lärms vier Nächte hintereinander nicht schlafen konnte, ging ich zur Stadtverwaltung und machte klar, dass es so nicht weitergehen kann», sagt Frommherz.
Runder Tisch
Die Stadtverwaltung reagierte auf die verfahrene Situation mit einer Mediationsrunde. Vertreter der losen Gruppierung trafen sich an einem runden Tisch mit den Behörden, einer Nachbarschaftsvertretung und der aufsuchenden Sozialarbeit «CONTACT Mobil».
Die Gründung des Vereins mit der verlassenen Garage als Vereinslokal war das Resultat mehrerer Treffen. Der «Checkpunkt» brachte die gewünschte Verbesserung für sämtliche Beteiligten.
Autonomie und Verantwortung
Mit finanzieller Unterstützung der Stadt Burgdorf und der Unterstützung durch die Suchthilfe «CONTACT Mobil» gestalteten die Vereinsmitglieder ihr neues Vereinslokal selber, bestimmten den Vorstand und die Vereinsregeln.
Dem Verein ist wichtig, die Eintrittsschwelle niedrig zu halten und niemanden auszuschliessen, gleichzeitig will man sich aber von Gewalt und Drogenkonsum abgrenzen.
Soziales Coaching
Eine stützende Rolle für den Verein hat der aufsuchende Sozialarbeiter Martin Blunschi von der Suchthilfe «CONTACT Mobil». Schon damals, als sie sich noch bei der «Rampe» versammelten, nahm er sich den Menschen und ihren Problemen an.
Eine gute Beziehung und gegenseitiges Vertrauen sind ungemein wichtig.
Bei der Vereinsgründung vermittelte er zwischen den verschiedenen Interessensgruppen und schlug die Brücke zu den Behörden. Seither coacht und begleitet er nicht nur einzelne, sondern auch den Verein.
Schadensminderung
Während seiner wöchentlichen Besuche in der Garage redet Martin Blunschi ganz unverbindlich mit den Versammelten. Man spricht über Gott und die Welt und je nach Bedarf und Interesse des Gegenübers auch über deren aktuelle Lebenssituation.
Diese Menschen stehen vor einem multifaktoriellen Problemberg.
«Eine gute Beziehung und gegenseitiges Vertrauen zwischen mir und den Leuten hier ist für meine Arbeit ungemein wichtig.» Blunschi bietet Hand und vermittelt nötigenfalls zu anderen Angeboten, welche beispielsweise die Wohnsituation oder medizinischen Belange betreffen.
Ziel der Stiftung für Suchthilfe «CONTACT Mobil» ist Schadensminderung. «Diese Menschen stehen vor einem multifaktoriellen Problemberg. Primär geht es darum, sie zu stabilisieren, risikoreiches Verhalten zu minimieren und die Lebensbewältigung im Alltag zu unterstützen.»
Ungewisse Zukunft
Weil auf dem Areal der alten Butterzentrale eine Überbauung geplant ist, sieht der Verein sich gezwungen, ein neues Lokal zu suchen.
Für Anna und Tom ist das Vereinslokal ihr Lebensmittelpunkt. Anna, die aufgrund einer starken Leberzirrhose im Spital war und nun weniger trinkt, braucht die Menschen hier. Sie geben ihr Halt.
Tom ist auf der Suche nach einem neuen Lebensgefährten, einem Hund. Doch auch dieser vermag diesen Raum hier nicht gänzlich zu ersetzen. In der alten Garage haben Anna und Tom ein Zuhause und Freunde gefunden.
Die Stadtverwaltung Burgdorf hält in ihren Legislativzielen fest, sich für eine Lösung starkzumachen und für die nötige finanzielle Unterstützung aufzukommen.