SRF DOK: Die USA haben vor wenigen Tagen eine syrische Luftwaffenbasis bombardiert. Sie waren letztes Jahr in Damaskus und haben Baschar al-Assad für ein Interview getroffen. Welche Gedanken gingen Ihnen durch den Kopf als Sie vom amerikanischen Angriff erfahren haben?
Sandro Brotz: Ob damit tatsächlich eine Wende in der Syrien-Politik eingeleitet wird, oder ob es ein Angriff für Donald Trumps eigene Galerie war. Aber auch daran, wie mir IKRK-Präsident Peter Maurer kürzlich sagte, dass auch im Krieg Regeln zu gelten haben – gerade wenn es um den Einsatz von Giftgas geht. Und natürlich habe ich auch an die Menschen denken müssen, die ich in Damaskus kennengelernt habe, und die einfach nur müde vom Krieg sind.
Wie kam das Gespräch mit Assad zustande?
Ich habe mir als Journalist seit jeher in den Kopf gesetzt, wenn immer möglich mit den Hauptbeteiligten zu sprechen. Weshalb sollte das nicht auch bei einem Mann möglich sein, der Akteur der grössten humanitären Katastrophe der jüngsten Zeit ist? So habe ich zuerst über das syrische Generalkonsulat in Genf, dann über Vertrauenspersonen in Damaskus und schliesslich beim Informationsministerium vor Ort um ein Interview nachgesucht.
Es brauchte unzählige Telefonate, Mails und Gespräche bis nach rund einem halben Jahr tatsächlich eine Zusage kam – an einem Sonntag, neun Tage vor dem eigentlichen Treffen mit dem Präsidenten.
Im Film sagt Assads Beraterin, Interviews mit westlichen Medien seien gezielt eingefädelt worden. Sie sagt sogar: «Die Medien wurden zur Kriegspartei.» Ob nun das Interview auf Anfrage oder Einladung zustande kam – wie interviewt man einen Diktator, ohne ihm eine Plattform zu geben?
Dieser Gefahr waren wir uns auf der Redaktion von Anfang an bewusst. Wir haben das Interview deshalb auch eingebettet ausgestrahlt und Assads Aussagen von Nahost-Experten beurteilen lassen. Zudem habe ich im Vorfeld viele Hintergrundgespräche mit hochrangigen Vertretern von humanitären Organisationen geführt. Der Tenor war klar: Man muss Assad mit dem konfrontieren, was er anrichtet. Daraus ist auch meine Idee entstanden, ihm ein Bild eines verwundeten Kindes zu zeigen. Es ist eine journalistische Pflicht, die Fragen zu stellen, welche die ganze Welt hat. Ein Interview ist immer auch ein Zeitdokument. Was ist die Alternative? Bei Kriegsverbrechen zu schweigen? Dann hätten wir unseren Job verfehlt.
Das Interview wurde dann dort von Assads Medienleuten geschnitten und Ihnen nach Zürich mitgegeben. Gab es Aussagen, die Ihr nicht gesendet habt?
Nein, darauf hätten wir uns auch nicht eingelassen – oder hätten transparent gemacht, was zensiert worden ist.
Wie war die Begegnung, wie hat er auf Sie gewirkt?
Ich habe zwei Gesichter gesehen. Das eine: interessiert, engagiert, kultiviert. Dann aber auch: angespannt, hart, kompromisslos. Er wollte zeigen, dass er jederzeit Herr der Lage ist. Als ihn Produzentin Samira Zingaro im Vorgespräch fragte, ob er sich in Damaskus frei bewegen könne, bejahte dies Assad und meinte, er brauche auch keinen Fahrer. Gleichzeitig war der enorme Druck, dem er ausgesetzt ist, schon fast physisch zu spüren.
Welche Frage würden Sie ihm gerne noch stellen?
Ob ihm bewusst ist, dass sich mit ihm die grausame Geschichte seines Vaters wiederholt. Schon Hafiz al-Assad hat mit eiserner Hand regiert und ist auch mit aller Härte gegen das eigene Volk vorgegangen. So wie es sein Sohn Baschar heute tut.