Ausschnitt aus dem Buch «Unter Bären und Tigern – Mein Abenteuer in der sibirischen Taiga» von Reno Sommerhalder, wo sich Andrea Pfeuti über ihr Leben mit mit dem Bärenmann äussert (erschienen 2014 im Wörterseh-Verlag).
«Renos Denk- und Lebensweise, seine Achtung vor den Tieren und die Wertschätzung der Natur lerne ich nicht nur auf unseren Ausflügen und Reisen kennen. Auch im Alltag spielen diese Faktoren eine wichtige Rolle. Reno träumt von Bären, liest über Bären, philosophiert über Bären, sorgt sich um die Bären, schreibt über Bären, fliegt zu den Bären, spricht über Bären, fotografiert Bären, isst wie ein Bär – und er sieht auch aus wie einer. Man könnte sagen, er sei ein Besessener. Manchmal schaue ich kritisch in den Spiegel, um zu überprüfen, ob ich mich inzwischen ebenfalls mit dem Bärenvirus angesteckt habe und mir Barthaare wachsen!
Nicht selten ergeben sich aus Renos totaler Naturverbundenheit auch Meinungsverschiedenheiten. Wenn jemand versucht, mir seine Überzeugungen aufzudrängen, bringt mich das in Rage. Ich kann dann ziemlich stur reagieren. In Banff, wo wir wohnen, benutzt Reno das Auto nur selten. Er geht meist zu Fuss oder fährt mit dem Velo. In das nächste Dorf Canmore fährt er nur, wenn er unbedingt muss. Das Geschirr wäscht er genau nach seinem Wassersparplan ab. Sein grauer Pullover, den er das ganze Jahr über trägt, ist in der Zwischenzeit ziemlich löchrig – und noch immer fragt er nach Flickmöglichkeiten. Im Haus wird die Temperatur tief gehalten, um Energie zu sparen. Reno verfügt über eine starke Vorstellung, wie die Dinge ablaufen sollten, während mich seine fixen Vorstellungen auf die Palme treiben. Sie sind für mich auch eine Art Umweltverschmutzung.
Langeweile hat bei uns keinen Platz
Ob wir Freunde treffen oder neue Leute kennen lernen, es dauert selten lange, bis wir beim Thema Bär, Mensch und Umwelt angelangt sind. Die meisten hören sich die Geschichten staunend oder gar mit Bewunderung an. Manche sagen, sie hätten auch schon davon geträumt, ihrem geregelten und nicht selten einengenden Leben den Rücken zu kehren. Oftmals staunen sie, dass Reno überhaupt noch lebt, wo er den Bären doch dauernd so nahe kommt.
Ich glaube, dass es in einer Beziehung wichtig ist, den Partner in seinen Träumen und in seiner Leidenschaft so weit wie möglich zu unterstützen. Gleichzeitig versuche ich, mir selber gegenüber achtsam genug zu bleiben, um meinen eigenen Weg und meine eigenen Wünsche nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn ich zurückblicke, bin ich überzeugt, dass sich die Puzzlestücke unserer Geschichte genau zum richtigen Zeitpunkt zusammengefügt haben. In unseren Trennungen sehe ich auch Chancen. Wenn Reno einige Wochen weg ist, kann ich mich intensiv um Ara kümmern. Die häufigen Abschiede und Wiedersehen erfrischen unsere Beziehung wie ein Platzregen. Unseren Alltag erleben wir als wohltuende Ruhe vor dem nächsten Sturm. Langeweile hat bei uns keinen Platz.
Natürlich kommen auch wir nicht um Kompromisse herum. Ich erinnere mich an Momente, in denen mich die Melancholie einholte. Die ersten beiden Geburtstage von Ara mussten wir ohne Reno feiern. Er war auch nicht da, als sie ihre ersten Schritte machte. Als Mutter und Lebensgefährtin hätte ich diese Höhepunkte gern mit ihm geteilt – und ich weiss, dass er auch gern dabei gewesen wäre. In solchen Stunden fehlen mir meine Familie und meine Freunde in der Schweiz doppelt und dreifach. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass Reno übers Jahr gesehen mehr Zeit mit seinen Kindern verbringt als die meisten anderen Väter, denn er ist den ganzen Winter über zu Hause.»