Die Strasse sagt dem Reisenden nicht, was ihn am Ende seines Weges erwartet.
Sechs Tote. Einer von ihnen war Nicolas – mein Guide und Freund in Kamerun. Eine Tragödie, die mich lange beschäftigte und über die ich zum ersten Mal schreibe.
Beginnen wir von vorne: Es war meine erste Reise nach Kamerun im Jahr 2005. Nach unserer Ankunft filmte ich am Flughafen in Douala, wie sich Katharina und Marcelin in die Arme fielen. Ein paar Monate zuvor hatten sich die beiden im Internet kennengelernt und fortan nannte sich die Bernerin «Reine Katharina». Die selbsternannte Königin hielt nichts mehr in ihrer schweizerischen Heimat. Sie löste ihre Wohnung auf, um in Afrika ihr abenteuerliches Leben zu beginnen.
Auf der mittlerweile bekannten Filmszene am Flughafen ist allerdings nicht zu sehen, dass da noch ein zweiter Mann zur Begrüssung angereist war. Er hiess Nicolas, der mit Marcelin eng befreundet war und wie er aus dem Hochland des zentralafrikanischen Staates stammte. Den knapp 50-Jährigen engagierte ich als Guide, denn das EDA warnte schon damals auf seiner Homepage ausdrücklich vor Reisen nach Kamerun: Überfälle durch gewalttätige Strassenräuber, Entführungen, Strassenproteste wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und zahlreiche Tropenkrankheiten. Wahrlich, ein Guide an meiner Seite war keine schlechte Idee.
Vom Guide zum Freund
Nicolas war ein liebenswerter, besonnener und gebildeter Mann, der früher als Englischlehrer arbeitete und seit einiger Zeit Journalist und Nachrichtensprecher eines Lokalradios in Banganté war. Ich konnte mich auf einen hervorragenden Führer verlassen, der mir Land und Leute näher brachte. Schnell schloss ich ihn in mein Herz und auch Katharina erging es gleich. Nicolas stand ihr immer wieder mit Rat und Tat zur Seite, erklärte ihr die Sitten und Gebräuche und war für sie eine wichtige Stütze beim Start ihres neuen Lebens. Und so kam es, dass er als einziger Freund an der traditionellen Hochzeit des schweizerisch-afrikanischen Liebespaares teilnahm, die am Königshof stattfand.
Gegen Ende meines ersten Aufenthalts lud mich Nicolas bei sich daheim zum Essen ein, wo ich auch seine Frau Behati kennenlernte, die als Naturheilerin tätig war. Dann kehrte ich in die Schweiz zurück und ich freute mich, dass ich einen so hervorragenden Guide gefunden hatte, der mir auch bei zukünftigen Reisen durch Kamerun beiseite stehen würde. Es kam anders.
Trauriges Wiedersehen
Als ich Nicolas ein Jahr später wieder traf, erkannte ich ihn kaum wieder. Vor mir stand ein abgemagerter Mann ohne jeglichen Glanz in den Augen, bar jeglicher Lebenskraft, weil sich sein Dasein mit unerwarteter Hässlichkeit gepaart hatte. An eine weitere Zusammenarbeit war nicht zu denken, denn er war entkräftet und völlig verwirrt. Ich wollte umgehend wissen, was los war. Nicolas schluckte leer und brachte vorerst kein Wort heraus.
Dann – endlich – sagte er mit schleppender Zunge, während sein Kopf den Sätzen hinterher nickte: «Meine Frau hat mich verlassen. Sie ist nach Yaoundé gezogen und will mit mir keinen Kontakt mehr.» «Weshalb?», wollte ich von ihm erfahren. Seine Augen füllten sich mit Tränen, während er mit stockenden Worten zu erzählen begann.
Eine tragische Verwechslung
Eines Tages wurde seine Frau Behati von einer Bekannten aufgesucht, die für sich und ihre vier Kinder ein fiebersenkendes Arzneimittel verlangte. Die Heilerin füllte ein Naturmedikament in Pulverform ab und gab es der Kundin. Bevor diese nach Hause ging, kaufte sie sich auf dem Markt noch Rattengift. Unglücklicherweise sah die Flasche genau gleich aus wie diejenige mit dem Heilmittel. Im Glauben, es handle sich um die Flasche mit der Arznei, löste sie das Pulver in Wasser auf, gab es ihren vier Kindern zu trinken und nahm selber davon. Doch es war – man ahnt es längst – das Rattengift.
Fünf Menschen starben innert wenigen Stunden. Die Geschichte sprach sich schnell herum in Banganté. Katharina und ihr Mann waren besonders schockiert. Das Ehepaar war nicht nur mit Nicolas und Behati befreundet, vielmehr kannte es auch die verstorbene Familie.
Flucht in die Hauptstadt
Den tödlichen Irrtum hatte Nicolas‘ Frau natürlich nicht zu verantworten. Aber die Logik bleibt schnell auf der Strecke in einer Gegend, wo der Glaube an Voodoo, Schamanen und Hexen fest verankert ist. Und so gingen Gerüchte herum. Was mixte die Heilerin eigentlich zusammen? Praktizierte sie womöglich schwarze Magie und trieb damit die fünf Menschen in den Tod?
Behatis Ruf war ruiniert. Sie hielt das alles nicht mehr länger aus, verliess Hals über Kopf ihren Mann und flüchtete in die Hauptstadt Kameruns. Nicolas suchte Hilfe bei den Paholos. Er bat die Kleinfamilie eindringlich, mit seiner Frau zu reden, in der Hoffnung, sie würde wieder zu ihm zurückkehren. Doch sie liess sich nicht umstimmen. Katharina und Marcelin versuchten ihn zu trösten, ihm Mut zu machen. Gut gemeinte Worte, die wie Balsam wirken sollten, aber leider keine Linderung brachten.
Ein gebrochenes Herz
Der Rufmord an seiner Frau und das ungewohnte Alleinsein machten Nicolas schwer zu schaffen. Ich spürte, dass er ein gebrochener Mann war. Gleichzeitig hoffte ich, dass es ihm bis zu meinem nächsten Besuch besser gehen würde.
Als wir uns verabschiedeten, ahnte ich nicht, dass ich ihn nie mehr sehen würde. Kurz danach wurde Nicolas krank. Von Katharina habe ich erfahren, dass er sich von einem Naturmediziner behandeln liess, aber dieser konnte ihm auch nicht mehr helfen. Woran er starb, habe ich nie erfahren. Womöglich an gebrochenem Herzen.