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Tourismus am Limit «Wir haben genug»: Grindelwald im Bann der Besucherströme

Die Region Grindelwald bietet eine spektakuläre Natur – und zieht dadurch jährlich Millionen Gäste an. Doch die Balance zwischen wirtschaftlichem Erfolg und Lebensqualität ist ins Wanken geraten.

Grindelwald zählt zu den beliebtesten Destinationen der Schweiz. Allein aufs Jungfraujoch reisen jährlich über eine Million Menschen aus aller Welt. Hinzu kommen täglich rund 4000 Übernachtungsgäste – etwa so viele, wie das Dorf Einwohner hat. Rechnet man die Tagestouristinnen und -touristen dazu, sind die Einheimischen klar in der Minderheit.

Tourismusforscher Stefan Forster, Professor für Tourismus und nachhaltige Entwicklung an der ZHAW, warnt vor den Nebenwirkungen des Booms: «Viele Gäste glauben, der Bauer, der hier die Wiese mäht, sei Teil der Inszenierung.»

Viel Verkehr vor dem Bahnhof von Grindelwald
Legende: Die Tourismusmassen in Grindelwald sind für viele Einheimische zunehmend eine Belastung. SRF

Besucherinnen und Besucher aus Millionenstädten in Asien, arabischen Staaten und Übersee seien ganz andere künstliche Welten gewohnt. Die Lebensrealität der Einheimischen wird zur Kulisse. 

Bauer Simon Meyer erlebt die Schattenseiten täglich. Ein Wasserfall auf seinem Land wurde über Social Media zum Foto-Hotspot. Die Folgen: Autos auf dem Hof, Abfall im Feld, fremde Menschen auf der Suche nach dem perfekten Bild. «Wir haben genug», sagt Meyer. «Und wir sind nicht die Einzigen.»

Dass sich viele Einheimische nicht mehr gehört fühlen, zeigt die Gründung des «Verein für Grindelwald». Junge Grindelwaldnerinnen und Grindelwaldner haben sich zusammengeschlossen, um der Bevölkerung bei neuen Projekten eine Stimme zu geben – insbesondere bei der geplanten Erneuerung der Firstbahn. 

Grossprojekt Firstbahn 

Grindelwald First nennt sich heute «Top of Adventure». Früher kämpfte die Bahn mit sinkenden Besucherzahlen, heute locken Action, Abenteuer und Selfie-Spots fast eine Million Gäste jährlich an – ähnlich viele wie das Jungfraujoch. 

Nun steht ein umfassendes Neubauprojekt bevor: Die Konzession der Firstbahn läuft bald aus, künftig soll sie mit grösseren Gondeln direkt beim Bahnhof starten.

Die bisherige Talstation liegt rund 750 Meter entfernt. Die Jungfraubahnen versprechen eine bequemere Anreise. Gemeindepräsident Bucher rechnet aber auch mit höheren Frequenzen: «Was neu ist, will man sehen. Klar gibt es mehr Leute.» 

Trotzdem unterstützt der Gemeinderat das Projekt. Er hofft, dass durch die direkte Anbindung der Firstbahn an den Zugsverkehr mehr Gäste den öffentlichen Verkehr nutzen.

Wohnungsnot verschärft sich 

Die Firstbahn ist nicht das einzige Bauvorhaben beim Bahnhof: Auf dem Gelände des ehemaligen Hotels Regina entsteht ein neues Resort mit 700 Betten. Gleichzeitig wächst die Wohnungsnot, Airbnb verschärft die Lage zusätzlich. Viele Einheimische ziehen weg, weil sie keine bezahlbaren Wohnungen mehr finden. 

Der alteingesessene Hans Schlunegger beobachtet die Entwicklung kritisch. Auch er schützt den Zugang zu seinem Haus mit einer Absperrkette, weil sich Touristinnen und Touristen schon in seinen Garten gesetzt haben. Für ihn ist aber klar: «Wir sind auf den Tourismus angewiesen, nicht zu 90, sondern zu 100 Prozent.» Mit den Jungfraubahnen habe Grindelwald einen starken einheimischen Investor, der Grossprojekte ohne öffentliche Gelder umsetze: «Das ist ein Riesenglück.»

Tourismusforscher Forster zieht Bilanz: «Der Tourismus in Grindelwald läuft wie am Schnürchen – ökonomisch erfolgreich. Aber er ist aus der Balance geraten.» Und Gemeindepräsident Bucher warnt: «Die Schmerzgrenze ist erreicht. Wie viel Tourismus verträgt Grindelwald? Bis jetzt habe ich keine Antwort.»

SRF 1, DOK, 25.09.2025, 20:05 Uhr.

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