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Stechen lassen für die Wissenschaft
Aus DOK vom 11.10.2018.
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Invasive Arten Wer ist hier fremd?

Asiatische Tigermücken wandern bei uns ein – und mit ihnen das Risiko gefährlicher Tropenkrankheiten. Eingeschleppte Buchsbaumzünsler fressen unsere gepflegten Hecken kahl und amerikanische Süsswasserkrebse verdrängen die angestammten Krebse. Was läuft hier schief?

Stechmücken sind lästige Biester, deren Stich sogar gefährlich sein kann. Und wem käme schon in den Sinn, sich freiwillig stechen zu lassen?

Doch genau das lässt die Biologin Eleonora Flaci im Namen der Wissenschaft mit sich geschehen: «Human Landing» heisst das Experiment, bei dem an verschiedenen Standorten im Südtessin gezählt wird, wie viele Stechmücken während 15 Minuten auf den nackten Beinen der Forscherin landen, zustechen und Blut zu saugen beginnen. Dann werden sie mit einem Saugapparat beim Blutmahl gestört und zur Zählung eingesaugt.

Dieses Experiment gehört zum Überwachungsprogramm neu eingewanderter Stechmücken, das eine Tessiner Forschungsgruppe der Fachhochschule SUPSI im Auftrag des Bundes und des Kantons Tessin durchführt. Der Grund dafür: Die Asiatische Tigermücke und einige verwandte Arten werden seit 2003 dabei beobachtet, wie sie in die Schweiz einwandern und sich ausbreiten.

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Nur die Weibchen stechen
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Malaria in der Schweiz

Noch vor 100 Jahren übertrugen einheimische Stechmückenarten in einigen Sumpfgebieten der Schweiz die Malaria – wie heute noch in vielen Tropenländern. Diese Gefahr ist heute durch grosse Flusskorrekturen und vor allem durch das grossflächige Trockenlegen von Sumpfgebieten aus der Schweiz verbannt.

Doch seit 2003 tauchten neue Mückenarten im Tessin und auch nördlich der Alpen auf: Die Asiatische Tigermücke und drei weitere verwandte Arten, die gefährliche Viruskrankheiten (das Chikungunya-Fieber, das West Nile Virus, das Denguefieber sowie das Zika- und das Gelbfieber-Virus) beim Blutsaugen von einem bereits kranken Menschen auf Gesunde übertragen können.

Ausbreitung entlang der Autobahn

Das Team von Eleonora Flaci am Mücken-Kompetenz-Zentrum an der SUSPI und von Pie Müller vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut haben herausgefunden, dass sich Tigermücken und Co. vor allem entlang von Autobahnen ausbreiten, wo sie in Lastwagen des Fernverkehrs und auch in PWs aus Südeuropa als blinde Passagiere eingeschleppt werden.

Im Tessin konnten sich die Mücken dank des günstigen Klimas rasch ausbreiten und vermehren. Nur durch aufwändige Bekämpfungsmassnahmen kann man ihre Bestände einigermassen stabil halten. Pie Müller betont, dass zum jetzigen Zeitpunkt trotz Tigermücken im Tessin kaum Gefahr einer Krankheitsübertragung bestehe.

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Die Klimaerwärmung leistet der Tigermücke Vorschub
Aus DOK vom 11.10.2018.
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Trotzdem werden die neuen Mückenarten intensiv beobachtet. In den Kantonen Aargau und Zürich breiten sich ebenfalls eingewanderte Asiatische Buschmücken aus.

Man versucht durch intensive Kontrollmassnahmen durch Wissenschaft, Behörden und Gemeinden ihre Zahl in der Schweiz unter Kontrolle zu halten und ruft die Bevölkerung zur Mitarbeit auf und bittet sie, Wasserbehälter im Freien zu entfernen, denn darin können sich die Larven dieser Mücken entwickeln.

Die Schweiz ist kein Sonderfall

Als blinde Passagiere im globalisierten Handel haben Tigermücken und Co. in den letzten 50 Jahren viele Gebiete der Welt erobert und sich aus ihren Ursprungsgebieten in Süd- und Südostasien nicht nur nach Europa, sondern auf allen Kontinenten ausser in Australien örtlich festgesetzt. Und mit ihnen die Gefahr der Übertragung ernster Viruskrankheiten.

Der globalisierte Handel hat die Einwanderung verschiedener Stechmückenarten begünstigt
Legende: Der globalisierte Handel hat die Einwanderung verschiedener Stechmückenarten begünstigt Keystone

Gierige Raupen

Ungemach in einem ganz anderen Bereich bereiten wunderschöne Schmetterlinge: Nachtaktive Falter, die sogenannten Buchsbaumzünsler, machen sich seit 2007 zum Leidwesen der Gartenfreunde an den beliebten Buchspflanzen zu schaffen. Buchs ist in der Schweiz seit etwa 5‘000 Jahren eine relativ seltene, einheimische Pflanze, die warme Standorte liebt.

Sie wurde aber vor allem von den Römern als immergrünes Gewächs in vielen Koloniegebieten in Mitteleuropa als Gartenpflanze weit verbreitet und erfreut sich seither grosser Beliebtheit: In noblen Schlossgärten genauso wie in städtischen Parkanlagen, aber auch in unzähligen Kleingärten sind sie d i e Heckenpflanze schlechthin. Sie lässt sich nämlich wunderbar formen: In vielen Gärten ist Buchs der Inbegriff von Kultur, durch die die Menschen den Wildwuchs der Natur nach ihrem Gusto zurechtstutzen.

Per Zollfreilager in die Schweiz

Und nun kommt als grosser Spielverderber ein kleiner Nachtschmetterling: Dass er auf importierten Buchspflanzen aus China eingeschleppt wurde, hört man oft und doch konnte dies bis heute nicht handfest bestätigt werden.

Dass die Zünsler mit sonstigen Warenlieferungen aus ihrem Ursprungsgebiet in China nach Europa reisten, kommt der Sache wohl schon näher, denn unweit vom Ort, an dem die fremde Art 2007 zum ersten Mal in unserem Bereich festgestellt wurde, liegt ein grosses Zollfreilager.

Und genau dort, im deutschen Grenzort Grenzach-Wyhlen, etwas oberhalb von Basel, gibt es seit Menschengedenken einen alten Buchsbestand im Wald, in dem Zünsler zum ersten Mal beobachtet und als Art bestimmt wurden.

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Das Verhalten des Buchsbaumzünslers in den letzten 7 Jahren
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Für immer kahl?

Nach 13 Jahren und mehreren radikalen Frasswellen in verschiedenen Buchsbeständen der Schweiz und Süddeutschland, zeichnet sich ab, dass die Pflanzen möglicherweise doch mit ihren scheinbaren Peinigern umgehen können: Nach der ersten Beobachtung hatten die Zünsler 2010 im ganzen Grenzacher Wald den Buchsbestand nahezu kahlgefressen. Danach kam es wieder zu Erholung der Pflanzen, doch 2017 erfolgte ein nächster Kahlfrass.

Solche Phänomene, die sich zyklisch wiederholen, sind in der Natur nichts Neues: etwa bei den Lärchen in den Bergwäldern des Engadins, wo regelmässig eine andere Schmetterlingsart, der Lärchenwickler, durchschnittlich alle 9 Jahre massenhaft auftritt.

Die Raupen sorgen dann immer wieder für beängstigenden Kahlfrass der Lärchen – ohne die Bäume wirklich ernsthaft zu gefährden. Im Gegenteil! Neue Forschungen zeigen, dass er den Lärchen sogar dabei hilft, sich gegen konkurrierende Arven im Bergwald zu behaupten.

So bleibt abzuwarten, ob der Buchsbaumzünsler für natürliche Buchsbestände die wirkliche Katastrophe bedeutet, wie es Gartenfreunde bei ihren zerstörten Zierhecken vermuten, wo sie regelmässig gegen die Zünsler zur Giftspritze greifen. Mit dem Resultat, dass sich die Zünsler nicht mehr gleichzeitig vermehren, sondern gleich mehrere Generationen von Zünsler-Raupen auf derselben Pflanze fressen.

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Ein Buchsbaumzünsler frisst sich zum Falter
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Von nahem betrachtet, ist der ungeliebte Nachtschmetterling ein wundersames Wesen mit einer faszinierenden Biologie. Er wurde durch den grenzenlosen Handel ausgebreitet und schlägt nun mit unheimlicher Energie der selbstverliebten Kultur des Menschen immer wieder ein Schnippchen.

Das Wandern ist der Muschel Lust

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Legende: www.bodensee-ornis.de

In den 1960erJahren wurden aus der Region des Schwarzen Meeres an den Rümpfen von Handelsschiffen kleine Zebra- oder Wandermuscheln eingeschleppt. Sie verbreiteten sich rasant in unseren Gewässern und es gab kaum natürliche Feinde, die ihre Zahl und Ausbreitung begrenzten.

Die Massenvermehrung der Wandermuscheln führte zu einem starken Rückgang einheimischer Muschelarten, die sie einfach überwucherten. Sie verstopften Wasserleitungen und gefährdeten bald Wasserversorgung und Abwasserreinigung.

Doch dann reagierte die Natur: Blässhühner und Reiherenten, die in grosser Zahl auf unseren Seen überwintern, entdeckten die Muscheln als willkommenes Futter in der kalten Jahreszeit – dieses enorme neue Nahrungsangebot zog immer mehr Enten an und ihr Winterbestand vervielfachte sich in wenigen Jahren.

Die Muscheln hingegen gingen bis in eine Wassertiefe von etwa 10 Metern, die Tauchtiefe, die Wasservögel noch mühelos erreichen, stark zurück, und es pendelte sich ein natürliches Gleichgewicht zwischen Vögeln und Muscheln ein.

Im Sommer, wenn die Enten weit verteilt sind und paarweise ihre Jungen aufziehen, erholen sich die Muschelbestände, um dann im Winter wieder Hundertausende von Wasservögeln anzulocken und in der kalten Jahreszeit zu ernähren.

In diesem Fall reagierte das hiesige Ökosystem auf die Invasion der Wandermuscheln und es pendelte sich in kurzer Zeit ein natürliches Gleichgewicht ein.

Krebspest rafft einheimische Krebse dahin

Im Falle der Krebspest der Süsswasserkrebse hat sich das natürliche Gleichgewicht bis heute nicht wieder eingestellt. Diese Pilzkrankheit wurde vor rund 150 Jahren mit dem Balastwasser von Auswandererschiffen zwischen Amerika und Europa nach Norditalien verschleppt.

Die Pilzkrankheit raffte in vielen unserer Gewässer alle einheimischen Krebse dahin. Als Ersatz setzte man amerikanische Krebsarten aus, die am Pilz aus der alten Heimat nicht erkranken, sondern ihn ohne Schaden auf sich tragen.

Der einheimische Steinkrebs ist verschwunden oder zu isolierten Restbeständen geschrumpft.
Legende: Drei einheimische Krebse sind von der Krebspest betroffen: Steinkrebs, (im Bild) Dohlenkrebs und Edelkrebs. Sie sind verschwunden oder zu isolierten Restbeständen geschrumpft. Keystone

Diese Krebse stellen seither das Überleben des Pilzes in unseren Gewässern sicher – so haben bis heute einheimische Krebsarten keine Chance, sich wieder anzusiedeln: Sie sind durch die gebietsfremden amerikanischen Verwandten dauerhaft verdrängt worden.

Was ist denn so schlimm?

Wanderfreudige Muscheln, eingewanderte Stechmücken und gierige Raupen sind nur drei Beispiele von unzähligen gebietsfremden Tier- und Pflanzenarten, die mit Hilfe der Menschen unsere Lebensräume besiedeln. Doch ist das denn so schlimm?

Insgesamt 107 Arten von eingeschleppten Organismen bezeichnete das Bundesamt für Umwelt BAFU in einer Analyse von 2006 (eine neuere gibt es nicht – aber es sind inzwischen noch mehrere Arten dazugekommen) als invasiv, das heisst, dass ihre Ausbreitung in der Schweiz für die lokalen Ökosysteme als aggressiv eingestuft wird, und dass sie dadurch Probleme verursachen. Auch eingeschleppte Arten, die für Menschen gefährlich werden oder grosse ökonomische Schäden verursachen, gelten als invasiv.

Die kleine mit den roten Augen

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Die Kirschessigfliege (Drosophila suzuki) ist nur rund 2,5 Millimeter gross. Sie wurde 2011 mit befallenen reifen Früchten aus Asien in die Schweiz importiert.

Seit 2014 macht sie den Weinbauern das Leben sauer, indem sie massenweise ihre Eier in reife Trauben ablegt, die dann von den Fliegenmaden zerfressen werden.

Das sorgt für erhebliche Verluste bei der Traubenernte. Einzelne Winzer haben nun erfolgreiche, natürliche Abwehrmethoden gegen sie entwickelt.

Andererseits gelten Arten, die auf natürliche Weise im Rahmen ökologischer Prozesse in unser Land einwandern oder zurückkehren, nachdem sie früher ausgerottet worden waren, als einheimisch und nicht als invasiv, selbst wenn sie für den Menschen unbequem sind. Sie gelten laut Bundesverfassung und nach den Gesetzen als biologisches Erbe des Landes, das für kommende Generationen erhalten werden muss.

Ein Auge auf invasive Arten

Deshalb gilt einigen kritischen Tier- und Pflanzenarten ein besonderes Augenmerk. Mehrere Bundesämter, Hochschulen und Behörden befassen sich mit deren Überwachung und Kontrolle und der Bundesrat hat 2016 eine klare Strategie dazu verabschiedet, denn etwas tritt immer deutlicher hervor.

Unsere Ökosysteme haben zwar eine gewisse Kapazität zur Anpassung. Aber werden sie zu stark gestört und durcheinandergebracht, können sie die Stabilität in unseren Lebensräumen nicht mehr aufrechterhalten. Eine Stabilität, die wir für unsere Existenz und für die Zukunft der nächsten Generationen dringend brauchen.

«NETZ NATUR»

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«Wer ist hier fremd?» Donnerstag, 11. Oktober, 20:05 Uhr, SRF 1

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