Wie bringt man eine Sportart wie Schwingen, bei der alles auf wenigen Quadratmetern passiert, so ins Radio, dass die Hörerinnen und Hörer das Gefühl haben, mitten im Sägemehl zu stehen? Reto Wiedmer weiss, wie das geht. Der SRF-Redaktor und -Kommentator ist seit Jahren bei Schwingfesten im Einsatz. Für Radio SRF kommentiert er am 30. und 31. August 2025 das 47. Eidgenössische Schwing- und Älplerfest (ESAF) in Mollis GL.
Schwingen live am Radio kommentieren – wie geht das?
Reto Wiedmer: Schwingen am Radio zu kommentieren ist anspruchsvoll – ähnlich wie beim Skirennen. Es passiert alles an einem Ort, es gibt keine grösseren Positionswechsel wie im Fussball. Deshalb musst du viel präziser beschreiben, was du siehst. Ich will, dass die Leute zuhause sagen: «Genau so habe ich mir das vorgestellt.» Wenn einer fast zwei Meter in die Luft gehoben und dann mit voller Wucht ins Sägemehl gedrückt wird – dann musst du das so erzählen, dass es im Kopf ein Kino erzeugt.
Wie bereitest du dich auf deinen Einsatz am ESAF vor?
Die Vorbereitung läuft parallel zur Saison. Zusammen mit Stefan Hofmänner dokumentiere ich jede Bewegung der Spitzenschwinger: 120 Biografien. Jedes Resultat und jeder wichtige Schritt wird festgehalten. Nach jedem Schwingfest sitzen wir drei Stunden dran, um alles zu erfassen. Dazu kommen Gespräche mit Schwingern, Experten und der Organisation. Das ESAF ist der Höhepunkt – aber die Arbeit beginnt Monate vorher. Man muss schon ein wenig ein Nerd sein (lacht).
Was willst du den Hörerinnen und Hörern während der kurzen Live-Einschaltungen mitgeben?
In erster Linie geht es darum, die neusten Ereignisse zusammenzufassen. Ich will nicht nur Resultate liefern, sondern einen Mehrwert bieten und auch Emotionen transportieren. Wenn ein Favorit Mühe hat, sage ich das. Wenn das Publikum tobt, beschreibe ich die Stimmung. Die Leute sollen das Gefühl haben: Ich bin dabei, ich verpasse nichts.
Wie unterscheidet sich das Kommentieren im Radio vom Fernsehen?
Im Fernsehen siehst du die Bilder – im Radio musst du sie erzeugen. Du darfst keine Pausen machen, musst klar und einfach sprechen. Eine Info pro Satz, sonst überforderst du die Hörerinnen und Hörer. Und du musst erklären. Wenn ich sage «kurz gezogen», versteht das nicht jeder. Also führe ich aus, was das bedeutet. Das ist die Kunst.
Was war dein eindrücklichster Moment an einem Schwingfest?
Mein Hühnerhautmoment am ESAF ist jeweils am frühen Morgen, wenn fast 60’000 Menschen aufstehen und die Nationalhymne singen – diese Idylle und im Hintergrund bestenfalls noch der Sonnenaufgang. Allgemein schätze ich das friedliche Zusammensein und diese einzigartige Kultur. An welchem Grossanlass kannst du sonst Glasflasche, Sackmesser und eigenen Proviant mitnehmen?
Hast du einen Lieblingsschwung?
Ich mag eher unkonventionelle Schwünge, solche, die seltener zu sehen sind. Und mir gefallen eher Siege aus dem Stand – das sieht spektakulärer aus als Bodenarbeit. Diese ist technisch auch enorm anspruchsvoll, aber für mich wirkt es eindrücklicher, wenn einer den Gegner direkt auf die Schulter legt.
Wer ist dein Geheimtipp für den Königstitel?
Ich lege mich nicht fest. Anfang Saison hätte ich drei Namen genannt – jetzt sind es sieben oder acht. Eine Zeit lang sah es so aus, als wäre Fabian Staudenmann das Mass aller Dinge. Aber unterdessen hat jeder Topfavorit schon Gänge überraschend verloren. Der Favoritenkreis ist so breit wie nie und es hat auch einige Junge, die angreifen. Das macht es spannend. Und: Von jedem Teilverband kann einer König werden. Das war früher nicht so. Aktuell legt gefühlt jeder jeden auf den Rücken.
Privat trifft man dich auch mal beim Hornussen. Gibt es für dich Parallelen zum Schwingen?
Beides sind traditionelle Sportarten, in denen Fairness wichtig ist. Beim Hornussen stellen die Clubs etwa ihre eigenen Schiedsrichter. Beide Sportarten sind in ländlichen Gebieten gross geworden. Erhebungen aus dem Schwingen zeigen jedoch, dass das Publikum jünger und urbaner wird – dies lässt sich auch beim Hornussen beobachten. Aber sportlich gibt es kaum Parallelen – ausser vielleicht, dass Schnellkraft wichtig ist. Übrigens, ich habe als Kind mal ein Jahr geschwungen, aber ich war zu weich dafür (lacht).