Es beginnt mit einem Anruf meist an einem Vormittag. So war es auch beim italienischen Rentnerpaar, das zu seinem eigenen Schutz anonym bleiben will. An einem Freitagmorgen im Mai klingelt das Telefon und eine Frau spricht auf Italienisch. Das Paar meint, ihre Nichte Christina aus Italien an einem Sprachfehler zu erkennen.
Genauso funktioniere der Enkeltrickbetrug, weiss Rolf Decker, Projektleiter Prävention bei der Kantonspolizei Zürich. Die Trickbetrüger rufen an und sagen den Namen nicht. Wenn man dann vom auditiven Abgleich her plötzlich das Gefühl habe, das sei zum Beispiel Franziska und die Person bestätige das, «dann geht da im Kopf die Schublade Franziska auf. Und ab diesem Moment hat man das Gefühl, es ist Franziska, und man hinterfragt das nicht mehr.»
Drei Fragen an Rolf Decker von der Kantonspolizei Zürich:
Rolf Decker von der Kantonspolizei Zürich beantwortet Fragen:
Credit-Suisse verlangt Beleg
Sie müsse 100'000 Franken ausleihen, um eine Wohnung zu kaufen, sagt Christina an jenem verhängnisvollen Freitagmorgen am Telefon. Es sei dringend, sonst platze der Kauf. Das Rentnerpaar will ihrer Nichte helfen und geht sogleich zur Credit-Suisse-Filiale. Der Geschädigte erinnert sich: «Die Bank-Chefin kam zu mir und sagte, wenn ich eine Zahlungsanweisung vorzeigen könne, etwa wie beim Kauf eines Autos, dann könne sie mir das Geld geben. Ohne einen solchen Nachweis könne sie nichts auszahlen.»
Keine Nachfrage auf der Postfiliale
Ohne Geld verlässt das Paar die Bank. Sofort ruft Christina wieder an und fordert den Rentner auf, das Geld woanders zu beschaffen. Rolf Decker von der Kantonspolizei Zürich kennt die Taktik der Betrüger, das potenzielle Opfer immer wieder anzurufen, und es so unter Druck zu setzen. So geschah das auch beim Rentnerpaar: Insgesamt 25 Mal rief Christina mit unterdrückter Nummer an.
Das Rentner-Paar geht direkt zur Postfiliale – die Schalterangestellte stellt keine Fragen. Der Rentner erinnert sich: «Ich erklärte der Frau, dass ich sofort 100'000 Franken benötige, weil meine Nichte eine Wohnung kaufen wolle, und sie dieses Geld sofort brauche.» Nur den Ausweis muss er ihr zeigen und zwei Papiere unterschreiben. Dann zahlt die Schalterangestellte dem Rentner am Schalter 100'000 Franken in bar aus.
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Geldübergabe kurz vor Notariatsschluss
Bald ruft Christina wieder an und weist den Rentner an, das Geld nachmittags an der Bahnhofstrasse in Zürich zu übergeben, weil sie dort in der Nähe beim Notar sei. Nach langem Warten und vielen Telefonaten ruft Christina um 17.30 Uhr nochmals an und erklärt, dass ihre Sekretärin komme, um das Geld zu holen. Sie müsse noch beim Notar bleiben. Der Rentner erinnert sich: «Plötzlich stand eine Frau vor mir, die mich fragte, ob ich soundso heisse. Sie müsse sich beeilen, weil das Notariat in zehn Minuten schliesse.»
Erst als ihre vermeintliche Nichte Christina nicht wie versprochen am selben Abend noch zu Besuch kam, beginnt das Rentnerpaar zu ahnen: Die 100'000 Franken hart erspartes Geld sind weg. Sie sind einer Betrügerin zum Opfer gefallen.
Geschulte Bankangestellte können helfen
Haben die Betrüger einmal ein potenzielles Opfer an der Angel, können fast nur noch die Bankmitarbeitenden Schlimmeres verhindern. Deshalb hat die Kantonspolizei Zürich zusammen mit Finanzinstituten ein mehrseitiges Merkblatt entwickelt, um das Schalterpersonal zu schulen. Laut Rolf Decker nützt das: «Ich weiss, dass aufgrund von Interventionen der Bank schon mehrere telefonbetrügerische Bargeldbezüge verhindert werden konnten.» Was konkret im Merkblatt steht, will er nicht verraten, um den Betrügern nicht in die Hand zu spielen.
Die Postfinance-Angestellte hat keine Fragen gestellt und den Bezug und damit den Betrug nicht verhindert. Für den Sohn des Rentnerpaars ist unverständlich, warum auf der Postfiliale niemand hellhörig wird, wenn ein älterer Herr fast sein ganzes Vermögen in Bar beziehen möchte: «Bei der CS-Bank muss man für einen gewissen Betrag einen Beleg vorweisen, und bei der Post fragt man eigentlich gar nichts.» Den Geschädigten antwortet die Postfinance erst Wochen später: Sie hätten ihre Sorgfaltspflicht nicht verletzt, sie könnten ihren Kunden das Geld ja nicht vorenthalten.
Postfinance verteidigt Vorgehen
Die Postfinance wollte vor der «Kassensturz»-Kamera nicht Stellung nehmen. Sie schreibt: «Die Schaltermitarbeiterin hat die 100'000 Franken ausbezahlt, nachdem sie den Kunden korrekt identifiziert, die Unterschriften abgeglichen und einen plausiblen Grund für den Bargeldbezug erhalten hat. Damit haben wir die geschäftsübliche Sorgfaltspflicht eingehalten.» Weiter schreibt Postfinance, das Rentnerpaar hätte gesagt, sie würden das Geld brauchen, weil sie ihren Lebensabend im Ausland verbringen möchten. Das Rentnerpaar bestreitet dies.