Zum Inhalt springen

Header

Audio
Auch wenn Betrüger am Werk waren: Die Ware muss der Kunde bezahlen
Aus Espresso vom 15.03.2023. Bild: Imago Images / Westend 61
abspielen. Laufzeit 7 Minuten 55 Sekunden.
Inhalt

Identitätsdiebstahl Gauner klauen Digitec-Login und bestellen Waren über 1000 Franken

Obwohl die Polizei und Digitec wissen, an wen die Waren geliefert wurden, soll der Digitec-Kunde die Rechnung bezahlen.

Ein Mann aus dem Kanton Luzern konnte sich plötzlich nicht mehr in sein Kundenkonto beim Online-Elektronikhändler Digitec einloggen. Es stellte sich heraus, dass Betrüger sich mit seinen Zugangsdaten eingeloggt und danach E-Mail-Adresse und Passwort geändert hatten. An eine Lieferadresse in der Westschweiz bestellten sie so Waren für 1'300 Franken.

Auf Anraten des Digitec-Kundendienstes erstattete der Betroffene Anzeige und informierte seine Rechtsschutz- und Haftpflichtversicherungen. Von der Polizei erfuhr er kurz darauf, dass auch Digitec Anzeige eingereicht habe in diesem Fall. Der Kunde nahm daher an, dass Digitec ihm die Rechnung erlassen würde, da es sich um eine betrügerische Bestellung handelte.

Das schliesst nicht aus, dass unser Kunde selbst für sein Login verantwortlich ist und die Rechnung entsprechend begleichen muss
Autor: Norina Brun Digitec-Sprecherin

Digitec besteht auf Zahlung

Doch weit gefehlt. Digitec besteht darauf, dass er die offene Rechnung von 1300 Franken bezahlt. Digitec-Sprecherin Norina Brun sagt, sie hätten bei der Polizei zwar ebenfalls eine Anzeige gemacht: «Dennoch schliesst dies nicht aus, dass unser Kunde selbst für sein Login verantwortlich ist und die Rechnung entsprechend begleichen muss.»

Digitec habe überprüft, dass die Logindaten nicht aus ihrem System entwendet worden seien: «Bei uns hat weder ein Hack stattgefunden, noch wurden Logindaten geleakt. Die Täterschaft ist mit gültigen Anmeldedaten in das Kundenkonto eingedrungen.» Bei diesem unrechtmässigen Zugriff seien Cookies verwendet worden, die den verwendeten Computer gegenüber Digitec als bereits bekanntes Gerät identifiziert hätten. Daher habe der «Espresso»-Hörer auch keine Sicherheitswarnung erhalten, als seine Zugriffsdaten und die Lieferadresse verändert wurden. Die verwendeten Cookies hätten ausschliesslich im Browser des Kunden existieren können, schreibt Digitec: «Daraus lässt sich folgern, dass die Angreifer zum Zeitpunkt der Bestellung Zugriff auf Geräte des Kunden bzw. dessen Cookies hatten.»

So schützen Sie sich vor Identitätsdiebstahl

Box aufklappen Box zuklappen

Passwortschutz

  • Ein starkes Passwort wählen (Mindestlänge 10 Zeichen sowie Ziffern, Gross- und Kleinbuchstaben und Sonderzeichen verwenden).
  • Nicht überall dasselbe Passwort, sondern für verschiedene Angebote verschiedene Passwörter.
  • Wenn immer möglich die Zwei-Faktor-Authentifizierung aktivieren.
  • Passwort bei Verdacht wechseln, dass es Dritten bekannt sein könnte.

Technische Massnahmen

  • Betriebssysteme und Anwendungen regelmässig updaten.
  • Virenschutzprogramm nutzen und regelmässig aktualisieren.
  • Gerät regelmässig auf Schadsoftware überprüfen.
  • Im Betriebssystem die eingebaute Firewall aktivieren.
  • Daten regelmässig als Backup sichern (externe Festplatte/CD oder online in Cloud-Speicher).

E-Mail

  • E-Mails mit unbekanntem Absender misstrauen.
  • In verdächtigen E-Mails auf keine Anhänge klicken und keinen Links folgen.
  • Nur Dateien oder Programme aus vertrauenswürdigen Quellen öffnen. Vorgängig mit Antiviren-Software prüfen.

Surfen, Social Media und Online-Shopping

  • Beim Surfen im Internet stets misstrauisch sein.
  • Persönliche Daten in sozialen Netzwerken nur einem eingeschränkten Kreis zugänglich machen (z.B. Geburtsdatum, Fotos von privaten Feiern usw.). Profile auf «privat» schalten.
  • Onlineshops vor der ersten Nutzung prüfen (Impressum!). Rezensionen im Internet lesen.
  • Ist eine Registrierung notwendig, nur unbedingt nötige Daten bekannt geben (Pflichtfelder).
  • Für Käufe in Onlineshops anonyme E-Mail-Adresse verwenden. E-Mail-Adressen vollem Namen (z.B. hans.muster@hotmail.com) nur für Korrespondenz mit Freunden und Verwandten.
  • Browserdaten (Cookies, Cache usw.) regelmässig löschen.
  • Finanzinstitute, Telekommunikationsunternehmen etc. fragen nie nach einem Passwort (weder per E-Mail noch per Telefon).
  • Bei Unsicherheit oder Verdacht auf einen Cyber-Angriff eine Fachperson beiziehen.

 (Quellen: Schweizerische Kriminalprävention, Cybercrime Police, Nationales Zentrum für Cybersicherheit NCSC)

Kunde hatte Zwei-Faktoren-Authentifizierung nicht aktiviert

Der Betroffene selbst kann sich nicht erklären, wie und wann ihm seine Logindaten hätten gestohlen werden können. Er sei sehr vorsichtig und befolge die gängigen Sicherheitstipps. Nur die Zwei-Faktoren-Authentifizierung, mit welcher jede Anmeldung zusätzlich bestätigt werden muss, hatte er nicht aktiviert.

«Espresso» ist an Ihrer Meinung interessiert

Box aufklappen Box zuklappen

Experte: «Haftungsausschluss nicht missbräuchlich.»

Digitec hat den Haftungsausschluss für solche Fälle auch in den AGB festgehalten. Rechtsanwalt Martin Steiger, Spezialist für Recht im digitalen Raum, sagt, dass dieser Passus nicht missbräuchlich sei. Es sei verständlich, dass Digitec keine Haftung übernehmen könne und wolle, wenn es Probleme mit den Zugangsdaten eines Kunden gebe. Und weiter: «Wenn mit den eigenen Zugangsdaten etwas missbräuchlich bestellt wurde, ist man weiter in der Verantwortung. Nur mit dem Verweis auf den Missbrauch ist man nicht aus dem Schneider.»

Auch wenn eine Bestellung mit gestohlenen Login-Daten also offensichtlich betrügerisch ist, entbindet dies betroffene Kundinnen und Kunden nicht von der Zahlungspflicht. Denn Kunden sind für den Schutz ihrer Login-Daten vor Missbrauch selbst verantwortlich. Anders ist es, wenn die Logindaten direkt aus dem System des Online-Händlers gestohlen oder weitergegeben werden.

Der Kunde hat die offene Rechnung bis jetzt nicht beglichen. Er will abwarten, was Digitec weiter unternimmt.

Espresso, 15.03.23, 08:13 Uhr

Meistgelesene Artikel