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Schweizer Firmen bewertet Ärger über Nachhaltigkeitsnoten aus heiterem Himmel

Die Wirtschaftsauskunftei Crif hat bei 470'000 Firmen die Nachhaltigkeit bewertet – ungefragt. Das wirft Fragen auf.

Darum geht es: Das Wirtschaftsauskunfts-Unternehmen Crif schickt Schweizer Firmen ungefragt eine Nachhaltigkeitsbewertung. Crif hat im Juli bekannt gegeben, dass sie über 470'000 Firmen aus dem Schweizer Handelsregister in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung bewertet habe. Die Firmen erhalten nun eine E-Mail mit ihrem sogenannten ESG-Score. Beim SRF-Konsumentenmagazin «Espresso» haben sich zwei mit «zufriedenstellende Nachhaltigkeit» beurteilte KMU gemeldet, die das Vorgehen der Wirtschaftsauskunftei kritisieren. 

Welches sind ihre Kritikpunkte? Beide KMU sagen, sie hätten nie eine solche Nachhaltigkeitsbewertung bestellt. Weiter kritisieren sie, dass sie die Bewertung nur korrigieren können, wenn sie Crif zahlreiche Informationen über ihr Unternehmen liefern und jährlich 180 Franken für ein Zertifikat bezahlen. Dritter Kritikpunkt: Für die Firmen ist es intransparent, aufgrund welcher Daten und Informationen sie beurteilt wurden. Sie bezweifeln, dass Crif genügend Daten für eine seriöse Bewertung hat. Viertens fühlen sich die beiden KMU unter Druck gesetzt, weil Crif die Bewertungen für ihre Kunden am 1. September auf einer hauseigenen ESG-Plattform publiziert.

Was sagt die Wirtschaftsauskunfts-Firma Crif zu den Kritikpunkten? Zur Transparenz und der Datengrundlage schreibt Crif, dass sie als Wirtschaftsauskunfts-Firma viele eigene Daten gesammelt hätten, beispielsweise über die Zusammensetzung der Geschäftsleitung, Crif sammle auch spezifisch Daten via Web-Suchmaschinen. Hinzu kämen weitere öffentlich verfügbare Daten, z.B. Energieverbrauch im Branchendurchschnitt angelehnt an Unternehmensgrösse, Informationen zum Standort, Energiemix der Schweiz. Bei der Analyse der Daten seien sie internationalen Vorgaben gefolgt.

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Und wenn Crif gar nicht genügend eigene Daten zu einem Unternehmen hat? Crif sagt zum einen: «Der ESG-Score gibt eine erste Annäherung zur Einschätzung der ESG-Performance, statistische Abweichungen können dabei nicht ausgeschlossen werden.» Und zum anderen seien für die Berechnung viele Datenpunkte vorgesehen: «Wenn weniger Daten zur Verfügung stehen, werden diese durch Branchendurchschnittswerte ersetzt.» Bei vielen Unternehmen wird diese Nachhaltigkeitsbewertung wohl nicht mehr sein als ein statistischer Durchschnittswert für ein Unternehmen dieser Art und Grösse in einer bestimmten Region.

Und wenn ein Unternehmen mit der Bewertung nicht einverstanden ist? Crif verlangt in diesem Fall, dass das Unternehmen einen ausführlichen Fragebogen vollständig ausfüllt. Dafür erhalte es ein anerkanntes ESG-Zertifikat, welches bei einer italienischen Ratingagentur akkreditiert sei. Im ersten Jahr sei es kostenlos, danach bezahle eine Firma dafür jährlich 180 Franken.

Können sich Unternehmen wehren, damit Crif ihre Nachhaltigkeitsbewertung nicht veröffentlicht? Auf Anfrage des SRF-Konsumentenmagazins «Espresso» gibt Crif eine Information bekannt, die im Schreiben an die Firmen bislang nicht enthalten war: «Diese Unternehmen haben die Möglichkeit, uns dies per E-Mail an ch.esg@crif.com mitzuteilen und wir werden auf eine Publikation des ESG-Score verzichten.» Künftig werde dies nun auch im Mailing an die Firmen erwähnt.

Espresso, 28.8.2023, 8:10 Uhr

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