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Urteilsunfähigkeit Vorsorgeaufträge: In vielen Fällen gar nicht nötig

Mit einem Vorsorgeauftrag kann man bestimmen, wer sich um seine Angelegenheiten kümmern soll, wenn man dazu nicht mehr in der Lage ist. Das stimmt so weit. Doch Vorsorgeaufträge sind kompliziert und teuer. Dazu kommt: In den meisten Fällen sind sie gar nicht nötig

Jeder Mensch könne plötzlich urteilsunfähig werden, heisst es in einem Ratgeberartikel. «Damit Sie selber bestimmen können, wer sich dann um ihre Angelegenheiten kümmert, brauchen Sie einen Vorsorgeauftrag.» Vielleicht hat der Vater von Julia Ganz (Name geändert) diesen Artikel gelesen. Jedenfalls verfasste der Mann einen Vorsorgeauftrag und bestimmte darin, dass seine Kinder seine Angelegenheiten besorgen sollten, sollte er dazu nicht mehr in der Lage sein. Doch als es so weit war, gab es Probleme.

  Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde hinterfragt Arztzeugnis

 «Unser Vater lebt im Altersheim», erzählt Julia Ganz. «Er ist sehr schwach, spricht kaum noch. Weil wir die Kosten für das Heim bezahlen müssen, wollten wir den Verkauf seines Hauses in die Wege leiten». Die Geschwister reichen den Vorsorgeauftrag bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) ein. Zusammen mit einem Zeugnis des Hausarztes, worin steht, dass der Vater nicht mehr handlungsfähig sei.

Wozu dient ein Vorsorgeauftrag?

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In einem Vorsorgeauftrag können Sie festlegen, wer Sie in persönlichen, finanziellen und/oder rechtlichen Angelegenheiten vertreten soll, sollten Sie dauerhaft urteilsunfähig werden. Das Gesetz schreibt vor, dass Sie Ihren Vorsorgeauftrag komplett von Hand verfassen, datieren und unterschreiben müssen. Sie können Ihren Vorsorgeauftrag beim Zivilstandesamt an Ihrem Wohnort registrieren lassen. Geben Sie den Personen, die Sie im Vorsorgeauftrag nennen, eine Kopie des Dokuments. Der Vorsorgeauftrag kann jederzeit widerrufen werden. Er wird erst in Kraft gesetzt, wenn Sie dauerhaft urteilsunfähig werden.

Damit war die KESB aber nicht zufrieden. Der betagte Vater musste sich einer psychiatrischen Begutachtung unterziehen. Resultat: Der Mann sei wohl «leicht kognitiv beeinträchtigt», deswegen aber nicht urteilsunfähig. Julia Ganz versteht das nicht. «Mein Vater hat extra für diesen Fall einen Vorsorgeauftrag ausgefüllt». Dass ein Vorsorgeauftrag aber erst dann gelte, wenn eine Person nachweisbar und dauerhaft urteilsunfähig sei, sei ihr nicht bewusst gewesen. Ebenso wenig, dass die KESB dies prüfe. «Wir dachten, dank dem Vorsorgeauftrag hätten wir nichts mit der KESB zu tun.»

Was kostet es, einen Vorsorgeauftrag in Kraft zu setzen?

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Sie können einen Vorsorgeauftrag selber erstellen, zum Beispiel anhand eines Musterformulars (siehe LinkBox). Verschiedene Organisationen verkaufen umfangreiche Vorsorgepakete mit Dokumenten zum Ausfüllen.

 Sollten Sie urteilsunfähig werden, wird der Vorsorgeauftrag durch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) in Kraft gesetzt. Dabei fallen Gebühren an. Diese betragen je nach Ort zwischen ein paar Hundert und mehreren Tausend Franken.

Wie Julia Ganz denken viele: Dass Angehörige mit dem Vorsorgeauftrag ohne Zutun der KESB schalten und walten können. Ein Irrtum. Ein anderes Missverständnis: Ohne Vorsorgeauftrag könne beispielsweise die Ehefrau die Liegenschaft ihres Ehemannes nicht verkaufen, wenn dieser nicht mehr urteilsfähig sei. Deshalb sei es wichtig, dieser Situation mit einem Vorsorgeauftrag vorzubeugen.

Was passiert ohne Vorsorgeauftrag?

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Verheiratete und eingetragene Paare haben laut Gesetz eine gegenseitige Vertretungsbefugnis. Sie können sich in alltäglichen Angelegenheiten gegenseitig vertreten und verpflichten. Bei nicht alltäglichen Angelegenheiten ist die Einwilligung der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) nötig. Zum Beispiel, wenn die Ehefrau das Haus des Ehemannes verkaufen möchte, um anfallende Pflegekosten zu decken.

 Wird eine nicht verheiratete Person urteilsunfähig, so bestimmt die KESB eine Beiständin oder einen Beistand. Dabei prüft die KESB, ob es in der Familie oder unter nahen Angehörigen geeignete Personen gibt. Tipp : Wenn Sie keinen Vorsorgeauftrag machen möchten, können Sie in einem einfachen Schreiben festhalten, wen Sie sich in diesem Fall als Beistandsperson wünschen.Bei einzelnen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden kann man dieses Dokument hinterlegen. Ansonsten ist es sinnvoll, es der Person zu geben, die man sich als Beistandsperson wünscht.

Dem widerspricht Patrick Fassbind, Leiter der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde des Kantons Basel-Stadt. «Die Ehefrau kann die Liegenschaft auch ohne Vorsorgeauftrag verkaufen», erklärt er. «Dazu braucht sie einfach die Zustimmung der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde. Im Normalfall keine grosse Sache.»

Gesetzesänderung in Planung

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Gegenwärtig ist eine Änderung des Erwachsenenschutzrechts in Planung: Künftig sollen Ehepaare und eingetragene Paare weitergehende Vertretungsrechte bekommen. Zudem wird überall möglich sein, statt eines Vorsorgeauftrages bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde zu hinterlegen, wen man sich als Beistandsperson wünscht, sollte man die Urteilfähigkeit verlieren.

Laut Gesetz haben Ehepaare und eingetragene Partnerinnen und Partner eine gegenseitiges Vertretungsbefugnis. «Aus diesem Grunde benötigen die meisten Paare keinen Vorsorgeauftrag», sagt auch Diana Wider, Generalsekretärin der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES). Empfehlenswert sei ein Vorsorgeauftrag bei komplizierten Familienverhältnissen und wenn sehr viel Vermögen vorhanden sei.

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Espresso, 07.06.23, 08:13 Uhr

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