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Rechtsfragen Gerichte urteilen: «Kassensturz» hat korrekt über ABI berichtet

Nach Strafklagen, mit denen das Ärztliche Begutachtungsinstitut ABI «Kassensturz» eingedeckt und allesamt verloren hat, urteilte nun auch das Bundesgericht: «Kassensturz» hat im Wesentlichen korrekt berichtet. Das höchste Gericht macht aber zwei kleine und absurde Einschränkungen.

«Manipulierte Ärztegutachten: verkaufte Patienten». Unter diesem Titel hat «Kassensturz» am 19. September 2006 zum ersten Mal über das Ärztliche Begutachtungsinstitut ABI in Basel berichtet.

Die Sendung deckte einen Missstand auf: Das ABI hat wiederholt den Grad der Arbeitsfähigkeit von IV-Patienten, wie er von den Fachärzten ermittelt worden war, im Schlussgutachten ohne Rücksprache mit den Fachärzten erhöht.

Wegen dieser eigenmächtigen Änderung der Arbeitsfähigkeit wurden Patienten die IV-Leistungen gekürzt oder gar gestrichen. Nach diesem Bericht zog das ABI «Kassensturz» vor die Gerichte. Eine beispiellose achtjährige Auseinandersetzung nahm ihren Anfang.

Prozesskampagne gegen «Kassensturz»

Bereits im Vorfeld hatte das ABI mit einer superprovisorischen Massnahme die Berichterstattung gerichtlich unterbinden wollen. Vergeblich. Die vorsorglichen Massnahmen wurden aufgehoben. Nach dem Bericht deckte das ABI mehrere Ärzte, auf deren Informationen die Berichterstattung fusste, aber auch «Kassensturz»-Redaktoren, mit Strafklagen ein.

Ebenfalls vergeblich. Die Strafuntersuchungen wurden allesamt eingestellt. Unzählige Verfahren hatte das ABI innert acht Jahren gegen «Kassensturz» und seine Informanten aus der Medizinbranche angestrengt, die jedoch zu Gunsten von «Kassensturz» ausgingen. Der Vorwurf, dass Gutachten ohne vorgängige Rücksprache mit den Untergutachtern abgeändert worden seien, entspreche der Wahrheit.

In der zweiten Sendung vom 26. September 2006 unter dem Titel «Ärztegutachten: IV spart auf Kosten der Patienten» berichtete «Kassensturz» über einen weiteren Fall. Dieser Beitrag enthielt auch ein Interview mit der Rechtsanwältin Evalotta Samuelsson.

Die ausgewiesene IV-Expertin sagte, wie das jüngste Beispiel zeige, schickten die Versicherungen die Betroffenen vor allem zu Gutachterstellen, die versicherungsfreundlich entscheiden. Qualität sei kein Thema, es gebe keine Qualitätskontrolle, weder von den Gutachterstellen noch von den Gutachtern. Diese würden nach dem Motto «Wer zahlt, befiehlt» erstellt. Eine unabhängige Überprüfung der Gutachten gäbe es nicht. Wie beim ersten Beitrag konnte das ABI auch hierzu Stellung nehmen. Es verwahrte sich gegen Gefälligkeitsgutachten.

Mit den politischen Konsequenzen schliesslich befasste sich der dritte Beitrag vom 10. Oktober 2006: Eine Nationalrätin hatte eine Interpellation zur Qualitätskontrolle bei ärztlichen Gutachten im Bereich der Invalidenversicherung eingereicht. In der Moderation wies Kassensturz darauf hin, dass Expertisen «reihenweise» abgeändert worden seien, ohne mit den Experten Rücksprache zu nehmen und immer zum Nachteil der Patienten.

Hauptaussagen in der Berichterstattung waren zutreffend

Mit dem Urteil vom 27. November 2014 hat nun auch das Bundesgericht letztinstanzlich die Hauptaussagen in der Berichterstattung insgesamt als zutreffend und rechtskonform taxiert. Schon die kantonalen Gerichte hatten die erste Sendung vom 19. September 2006 als zutreffend und damit weder unlauter noch persönlichkeitsverletzend eingestuft.

Kritisiert hat das Basler Appellationsgericht einzig die Aussage der Anwältin Evalotta Samuelsson in der zweiten Sendung, eine unabhängige Überprüfung der Gutachten existiere nicht. Dies stimme nicht, weil die Feststellungen in den Gutachten im Rahmen gerichtlicher Verfahren angefochten werden könnten.

Ebenfalls nicht goutiert hat das Appellationsgericht die Aussage in der Moderation, wonach die Gutachten «reihenweise» abgeändert worden seien. Da in den vorangegangenen Sendungen lediglich drei Fälle dokumentiert worden seien, sei die Formulierung «reihenweise» ungebührlich und verfälsche das Bild, weil «reihenweise» «systematisch» bedeute.

Allein gegen diese zwei Punkte hat «Kassensturz» in der Folge selber den Weg ans Bundesgericht eingeschlagen um klarzustellen, dass einerseits inhaltlich tatsächlich keine unabhängige Qualitätskontrolle stattfindet und andererseits der Begriff «reihenweise» berechtigt sei, weil nebst den drei dokumentierten Fällen Gerichtsurteile vorliegen, die von einer «Praxis der Abänderung ohne Rücksprache» ausgingen. Trotzdem hat das Bundesgericht die Vorinstanz geschützt und die zwei Aussagen als rechtsverletzend eingestuft.

«Kassensturz» hält an der Berichterstattung fest

«Kassensturz» ist nach wie vor der Meinung, dass auch die Aussage von Rechtsanwältin Evalotta Samuelsson und diejenige des Moderators zutreffend und deshalb nicht unlauter waren. Tatsächlich gibt es wie gesagt keine Inhaltskontrolle für die Gutachten.

Die Behauptung der Gerichte, diese Aussage sei unzutreffend, weil in gerichtlichen Verfahren eine unabhängige Überprüfung stattfinde, ist absurd, denn selbstverständlich kann quasi jede menschliche Verhaltensweise auf prozessuale Klage hin bei den zuständigen Gerichten überprüft werden.

Die Aussage der Juristin bezog sich demgegenüber im Kontext klar darauf, dass innerhalb der üblichen Begutachtungsprozedere durch Teilgutachten, die dann vom ABI konsolidiert werden, keine unabhängige externe medizinische Überprüfung mehr erfolgt.

Was die von den Gerichte gerügte Formulierung anbelangt, die Expertisen würden «reihenweise abgeändert», so hatte Kassensturz neben den drei dokumentierten Fällen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes aufgelegt, welches davon spricht, dass «offenbar von einer Praxis seit 2003» gesprochen werden müsse, so dass die verbale Zuspitzung die Gutachten würden reihenweise abgeändert, wohl stark, indessen nicht unzutreffend ist. Immerhin hatte sich auch eine Nationalrätin in der Sendung ähnlich geäussert.

Fazit

Insgesamt waren die Hauptaussagen in allen drei «Kassensturz»-Beiträgen korrekt und rechtskonform, was nun auch das oberste Gericht bekräftigt hat. Einzig die Aussage einer Interviewpartnerin im Beitrag, es gäbe keine unabhängige Kontrolle der Gutachten und die Einschätzung des Moderators, diese seien reihenweise abgeändert worden, wurden vom Bundesgericht im ersten Falle als unzutreffend und im zweiten als überspitzt bezeichnet.

Indessen ist die Auffassung des Bundesgerichtes, der Rechtsweg stehe stets offen, für ein durchschnittliches Publikum kein Hinweis, dass eine unabhängige externe Überprüfung im Rahmen der üblichen Begutachtungen stattfindet. Zu Recht hat Kassensturz die diesbezüglich belegte Praxis als reihenweise, ja systematische Vorgehensweise gebrandmarkt.

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