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5000 Tonnen jährlich Medikamente: Drei Milliarden Franken landen im Abfall

In der Schweiz landen jährlich Medikamente für 3 Milliarden Franken im Abfall. Was bringen kleinere Packungen und längere Haltbarkeiten?

Wer die Hausapotheke schon mal aufgeräumt hat, kennt das Problem: Viele Medikamente müssen entsorgt werden, weil das Verfallsdatum überschritten ist.

Besonders ärgerlich, wenn die Tablettenpackung noch halb oder fast voll ist. Laut der Sonderabfallstatistik vom Bundesamt für Umwelt (bafu) werden in der Schweiz jährlich rund 5000 Tonnen Medikamente entsorgt.

Medikamente gehören nicht in den Abfall

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Medikamente gelten als Sondermüll. Man kann sie aber bei verschiedenen Stellen zurückbringen, die sie dann fachgerecht entsorgen lassen: Apotheken, Drogerien, Sonderabfallstellen oder der Hausarzt, der auch Medikamente verschreibt.

Seit 2001 gilt eine Rücknahmepflicht für Sonderabfälle. In einigen Kantonen ist die Rückgabe gratis, andere erlauben Apotheken, dafür eine Gebühr zu verlangen.

Das sind Medikamente aus Spitälern, Heimen und Apotheken – private Haushalte sind in diesen Zahlen nicht eingerechnet. Das entspricht einem Gegenwert von rund 3 Milliarden Franken – mindestens.

Eine unglaubliche Verschwendung

Seit Jahren wird nach Lösungen gesucht, um das Problem einzudämmen. Apotheken sollen künftig Antibiotika auch einzeln verkaufen dürfen. So will es der Bundesrat. Ein entsprechendes Pilotprojekt im Kanton Neuenburg im Jahr 2020 hat aber gezeigt, dass die Einzelabgabe keine grossen Einsparungen bringt.

«Kassensturz» ist an Ihrer Meinung interessiert

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Céline Gardiole, vom Bundesamt für Gesundheit kommt zum Schluss: «Die Einzelabgabe von Antibiotika soll vor allem einen positiven Effekt auf die Antibiotika-Resistenz haben. Es geht nicht darum, die Kosten zu senken. Unsere Schätzung deutet eher darauf hin, dass diese steigen könnten – weil die zusätzliche Arbeit in den Apotheken vergütet werden muss.»

Kritik an Hersteller und Packungsgrössen

Mehr Sparpotential hätten kleinere oder angepasste Packungen, ist Pascal Bonnabry überzeugt. Der Leiter der Spital-Apotheke des Universitätsspitals Genf kritisiert die Grösse gewisser Verpackungen: «Eine Standardbehandlung mit Antibiotika dauert oft sieben Tage bei drei Gaben pro Tag, also 21 Tabletten. Wenn der Hersteller aber nur Packungen mit 20 Tabletten anbietet, muss die Apotheke den Patienten 40 Tabletten abgeben.»

Statt dass Apotheken das umständlich umpacken, sollte die Industrie passende Kalenderpackungen anbieten. In diesem Fall 21 Tabletten, so Bonnabry.  So würde Verschwendung vermieden.

Michèle Sierro, Mediensprecherin von Interpharma, dem Verband der forschenden Pharmaindustrie, weist die Kritik zurück. Und spielt den Ball den Behörden zu: «Wenn das Bundesamt für Gesundheit ein Medikament in die Spezialitäten-Liste aufnimmt, wird auch die Packungsgrösse mitgeteilt. Es sind also die Behörden, die entscheiden, wie gross die Verpackungen sein sollen – und die Industrie richtet sich danach, je nachdem, was für die Patienten notwendig ist.».

Stellungnahme des BAG zur Thematik

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Das BAG prüft bei der Aufnahme eines Arzneimittels in die Spezialitätenliste (SL) und bei der Zulassung neuer Indikationen, ob die Packungen zweckmässig sind, resp. ob die angebotenen Packungsgrössen auch der Therapiedauer entsprechen und es nicht zu unnötigem Abfall von Arzneimitteln kommt. Diese Anforderung wird auch bei der Überprüfung alle drei Jahre erneut beurteilt. Sind die angebotenen Packungen unpassend, kann das BAG die Aufnahme in die Spezialitätenliste verweigern oder verlangen, dass innert bestimmter Frist zweckmässigere Packungen angeboten werden.

Zu berücksichtigen ist, dass Medikamente, etwa Antibiotika, in der Regel für viele verschiedene Indikationen zugelassen sind, bei denen sich die Dosierungen gemäss Empfehlungen der medizinischen Leitlinien stark unterscheiden können. Diese Voraussetzungen führen dazu, dass nicht für alle Indikationen passende Packungsgrössen angeboten werden können. Deshalb lassen sich bei gewissen Antibiotika aufgrund von unterschiedlichen Therapiedauern und Einnahmehäufigkeiten Restbestände nicht vermeiden.

Pharmazie-Professor Pascal Bonnabry kontert: «Die Industrie ist sehr empfindlich, was die Sicherheit der Anwendung ihrer Medikamente angeht. Daher hätte ich Mühe, wenn sie sich aus der Verantwortung für passende Verpackungsgrössen nehmen will.»

Initiative will das Problem angehen

Auch die Politik beschäftigt sich mit dem Thema. Eine parlamentarische Initiative von SP-Nationalrätin Brigitte Crottaz fordert unter anderem, dass Ärzte, Patientinnen oder auch Krankenkassen ungeeignete Packungen beanstanden können. «Wenn klar ist, dass wegen der Packungsgrösse Medikamente verschwendet werden, sollte die Pharmaindustrie verpflichtet werden, die Kosten zu erstatten.» Das würde die Industrie für das Problem sensibilisieren, so Crottaz.

Medikamente nach Ablauf des Verfallsdatums oft noch wirksam

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Ein Test der RTS-Sendung A Bon Entendeur zeigt interessante Ergebnisse. Das Zentrum für Toxikologie der Universität Lausanne hat 8 abgelaufene Medikamente auf ihre Wirksamkeit untersucht. Darunter sehr verbreitete Präparate wie Dafalgan, Ibuprofen, das Cholesterinmittel Sortis, oder Buscopan für Verdauungsprobleme.

Der Test misst, wie viel aktiver Wirkstoff in den Arzneimitteln noch zu finden ist. Ein Medikament gilt laut Marc Augsburger, Leiter des Zentrums, als wirksam, solange der Wirkstoffgehalt nicht unter 90 Prozent fällt.

Dies war bei sieben von acht Medikamenten der Fall. Ob man diese Medikamente noch verwenden soll, lässt der Experte offen. Er selber würde sie nicht mehr einnehmen. «Aber die Frage stellt sich: Sollten wir die Haltbarkeit nicht genauer auf eine Verlängerung des Verfalldatums hin prüfen?»

Werden die Verfallsdaten zu kurz angesetzt? Michéle Sierro von Interpharma weist auch diese Kritik zurück. «Diese Daten sind wissenschaftlich festgelegt, also der Zeitraum, in dem ein Medikament zu 100 Prozent stabil ist. Das ist kein willkürlich gewähltes Datum, sondern ein wissenschaftliches Datum, nach dessen Ablauf das Medikament nicht mehr zu 100 Prozent garantiert werden kann.»

Pharmaunternehmen hätten kein Interesse an kurzen, sondern eher an langen Verfallsdaten. Dies erlaube viel mehr Flexibilität bei der Organisation der Produktion und bei der Verwaltung der Lagerbestände und des Vertriebes.

Die Ziele der Initiative sollen laut BAG im Rahmen der nächsten Verordnungsrevision ab 2026 umgesetzt werden. Hauptmassnahme sei, dass «das BAG bei Arzneimitteln mit Verwurf (Abfall), diesen bei der Preisfestsetzung berücksichtigen kann.»

Espresso, 25.11.25, 8:10 Uhr

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