Für Jana W. waren 20-Stunden-Schichten am Wochenende üblich, Zwölf-Stunden-Tage die Regel. Die Assistenzärztin hat am Spital Herisau gearbeitet. Das Spital habe von den Überstunden gewusst, sagt sie, aber nichts dagegen unternommen. Stattdessen habe ihnen der Chefarzt vorgeworfen, wer Überstunden mache, arbeite nicht effizient.
Seit 2017 gibt es Hinweise auf zu lange Arbeitszeiten am Spital Herisau. Die Anzahl der Assistenzarzt-Stellen wurden daraufhin zwar erhöht, doch auch 2025 berichten Mitarbeitende von überlangen Schichten.
Die Spitalleitung schreibt Kassensturz: «Der Spitalverbund Appenzell Ausserrhoden (legt) grossen Wert auf eine gesetzeskonforme Umsetzung des Arbeitsgesetzes. Wir gehen davon aus, dass (…) keine Arbeitsgesetz-Verstösse (...) vorliegen, die geahndet werden müssten.»
Der Grossteil der Schweizer Assistenzärztinnen ist betroffen
Die neueste, schweizweite Mitgliederbefragung durch den Verband der Assistenz- und Oberärztinnen (VSAO) belegt den Missstand: 76 Prozent der befragten Assistenzärztinnen und -ärzte arbeiten über dem gesetzlichen Limit. Sie arbeiten bei einer 5-Tage-Woche im Schnitt 58 Stunden pro Woche, das sind über 11 Stunden pro Tag.
Die Chirurgie gilt als die Fachrichtung in der Medizin, wo besonders viel gearbeitet wird. Sie habe bis zu 16 Stunden am Tag gearbeitet, erzählt Assistenzärztin Madeleine S., die auf der Chirurgie an ihr Limit kam.
Übermüdung als Risiko
Von Madeleine S. wurde erwartet, dass sie trotz Übermüdung operiert: «Manchmal habe ich mich geweigert, eine Operation durchzuführen, aber dann kommt schnell der Satz: ‚Wenn du keine Chirurgin sein möchtest, dann lass es bleiben!‘ – und dann muss man einfach alles machen und operiert, trotz Schlafmangel.» Wer jedoch so viel arbeite, operiere definitiv schlechter, ist ihre Erfahrung.
Immer mehr Assistenzärztinnen geben zu Protokoll, dass sie wegen Übermüdung Patienten gefährden. Auch das bringt die neuste Umfrage des VSAO für das Jahr 2023 ans Licht: 67 Prozent der befragten Assistenzärztinnen und -ärzte gaben an, dass sie wegen Übermüdung Patienten gefährdet hätten. 2016 waren es noch 43 Prozent.
Innerhalb von knapp zehn Jahren diese Steigerung, das sollte aufschrecken, sagt der ehemalige SP-Nationalrat und Hausarzt Angelo Barrile, der den VSAO Schweiz bis vor kurzem präsidiert hat.
Für Angelo Barrile ist klar, die Politik muss handeln. Denn auch das belegen die Zahlen: Assistenzärztinnen und -ärzte steigen wegen chronischer Überlastung vermehrt aus dem Beruf aus. Man habe noch nicht realisiert, dass man so viele angehende Ärzte und Ärztinnen, «die fähig wären und motiviert, kaputt macht oder verärgert, sie ihnen Job verleiden lässt, dass sie aussteigen. Wir haben bereits einen Fachkräftemangel, aber so wird er zusätzlich verschärft.»
Spitalverband H+ verteidigt Arbeitszeiten im Spitalbetrieb
Der Spitalverband H+ betont, dass das Arbeitszeitgesetz einzuhalten sei. Sie würden für Rahmenbedingungen kämpfen, dass das möglich sei. «Das ist heute nicht einfach», sagt Kristian Schneider, Vizepräsident von H+ und Direktor vom Spitalzentrum Biel.
Während vor 30 Jahren Assistenzärztinnen und -ärzte noch 80 Stunden pro Woche gearbeitet hätten, sei man heute bei 50 Stunden, so Schneider. Klar aber sei: «Es ist nicht gefährlich für Patienten», so Schneider. Assistenzärzte seien nicht allein. Sie hätten immer Fachärzte und ein System um sich herum.