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Jugendliche im Ausland Wenn der Sprachaufenthalt zum Albtraum wird

Hundekot in der Wohnung und Gastfamilien, die kaum kontrolliert werden. In der Kritik steht Education First EF.

Christelles Sprachaufenthalt in Hawaii begann mit einer unhaltbaren Situation: Der alleinstehende Mann, der sie und weitere drei Sprachschülerinnen bei sich beherbergen sollte, war gar nicht da. Während einer Woche. Das Haus machte auf Christelle zudem einen sehr unhygienischen Eindruck, auch nachdem der Mann auftauchte, erklärt sie gegenüber Radio Télévision Suisse (RTS): «Das Spülbecken in der Küche war manchmal voller Würmer und neben dem Müll lagen nicht identifizierbare Dinge.»

Nach ein paar Wochen schaffte sich der Gastgeber Welpen an. Sie urinierten und koteten in die Zimmer, doch den Besitzer kümmerte das laut Christelle nicht: «Weil der Mann nichts machte, mussten wir Sprachschülerinnen die Exkremente entfernen und den Boden sauber machen.» Doch es kam noch schlimmer.

An einem Freitagabend um 23:30 Uhr erhielten wir per SMS die Nachricht, dass wir das Haus verlassen müssten, sofort.
Autor: Christelle Sprachschülerin

«An einem Freitagabend um 23:30 Uhr erhielten wir per SMS die Nachricht, dass wir das Haus verlassen müssten, sofort. Der Mann hatte bereits sechs Monate zuvor alle seine Schülerinnen hinausgeworfen, er war dafür bekannt. Die Schule in Hawaii hatte aber nichts dagegen unternommen und er konnte wieder Schüler aufnehmen.»

Reise-Ombudsman findet Vorkommnisse «skandalös»

Was sagt der Ombudsman der Schweizer Reisebranche, Franco V. Muff, zu diesem haarsträubenden Fall? «Das ist skandalös, so etwas dürfte nicht passieren, aber es ist ein typisches Beispiel, dass offenbar gewisse Schulen keine Ahnung haben, was für Unterkünfte ihre Sprachschüler vor Ort antreffen.»

Bei der Sprachschule handelte es sich um Education First, kurz EF. Sie ist die weltweit führende Anbieterin von Sprachaufenthalten. Sie schreibt, dass die Gastgeber «streng überprüft» würden und ein entsprechendes Auswahlverfahren für Gastfamilien durchgeführt werde.

So etwas dürfte nicht passieren!
Autor: Franco V. Muff Reiseombudsman

«In Fällen, in denen sich die Bedingungen seit unserem letzten Besuch verschlechtert haben oder andere Bedenken von unseren Schülern vorgebracht werden, treffen wir die notwendigen Vorkehrungen, um das Problem zu lösen, die Unterkunft gegebenenfalls zu wechseln oder dem betreffenden Gastgeber sogar die Mitgliedschaft zu entziehen, wenn es sich nachweislich um ein schwerwiegendes Problem handelt.» Ob dies im vorliegenden Fall so war, beantwortet EF nicht.

Heruntergekommene Massenunterkunft anstatt Gastfamilie

Auch Lénie, damals 15-jährig, machte schlechte Erfahrungen mit EF, in England. «Ich wollte für zwei Wochen weg, um mein Englisch zu vertiefen. Nach einigen Abklärungen entschieden wir uns für einen Aufenthalt in Eastbourne, England.»

Die Mutter bezahlt die 2700 Franken für das Schulgeld und den Aufenthalt bei einer Gastfamilie. Doch anstatt bei einer Gastfamilie landete Lénie in einem heruntergekommenen Hotel, inmitten von dutzenden anderen Schülerinnen und Schülern.

Laut der Mutter sagte EF, dass das eine gute Lösung sei, da viele Gastfamilien im letzten Moment abgesagt hätten und deshalb viele Schülerinnen und Schüler in zwei Hotels untergebracht werden mussten.

Für den Ombudsman eine Vertragsverletzung, denn «wenn man eine Familie will, will man keine Massenunterkunft.»

EF bedauert den Fall sehr

EF schreibt dazu, dass die Bedingungen im Sommer 2022 in einigen «unserer Studentenwohnheime in Südengland leider nicht unseren üblichen Standards genügten, was wir sehr bedauern». Als Grund für die sehr kurzfristige Umplatzierung in ein Studentenwohnheim nennt EF die Absage mehrerer dutzend Gastfamilien im Zusammenhang mit Covid. «Deshalb mussten unsere Teams vor Ort Ad-hoc-Lösungen finden, um die Studierenden mitten in der Hochsaison unterzubringen.»

EF hält zudem fest: «Unsere Programme könnten nicht seit 1965 existieren, wenn die von Ihnen erwähnten Vorfälle systematisch wären oder die typischen Erfahrungen unserer Schüler widerspiegeln würden. Nichtsdestotrotz, und das räumen wir ein, sind wir vor schlechten Erfahrungen oder manchmal auch vor der Nichteinhaltung unserer Standards nicht gefeit, insbesondere in der Zeit nach Covid. Wir nehmen die Meinung und Rückmeldungen unserer Schüler und Schülerinnen sehr ernst und setzen alles daran, schnell angemessene Lösungen zu finden.»

Anzahl Gastfamilien nimmt dramatisch ab

Die Anzahl Gastfamilien in England ist ein Problem, denn sie hat im Vergleich zu vor der Corona-Pandemie um 70 Prozent abgenommen. Das sagt Claudio Cesarano, Geschäftsführer des Schweizer Anbieters Linguista Sprachaufenthalte. «Auch in Irland, Frankreich, Italien und Spanien gibt es in Städten oder Regionen bis zu 50 Prozent weniger Kapazitäten.» Dieser dramatische Rückgang führt Claudio Cesarano unter anderem auf die Tendenz zu Homeoffice zurück und Airbnb, «da die Preise da nachfragen-getrieben sind und somit mehr Geld verlangt werden kann, als wenn eine Sprachschülerin kommt».

Das Angebot ist das eine. Doch wie werden die Gastfamilien ausgewählt, wie werden sie überprüft und kontrolliert? Diese Frage stellte sich Clément Bürge, London Korrespondent des Westschweizer Fernsehens. Er wohnt in London, zusammen mit seiner Partnerin und seinem Kind, und bewarb sich als Gastfamilie bei verschiedenen Schulen – mit Erfolg. Und erschreckenden Erkenntnissen.

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Kaum Kontrollen bei Gastfamilien

Beim Schweizer Anbieter Linguista bewarb sich Clémént Bürge per Mail. Diese organisiert Gastfamilien über eine Partnerfirma. Von dieser erhielt er gleich einen Vertrag für die Beherbergung einer 17-jährigen Studentin, ohne Überprüfung der Wohnung, ohne Überprüfung seiner finanziellen Verhältnisse und ohne Überprüfung des Strafregisterauszugs.

«Das ist absolut inakzeptabel», erklärt Ombudsman Franco V. Muff. «Ich gehe nicht davon aus, dass jede Schule alle Personen einer Gastfamilie bis ins letzte Detail kennt. Aber wenn sich wie in diesem Beispiel neue Leute bewerben, die Studentinnen und Studenten aufnehmen möchten, dann muss man diese seriös prüfen. Was haben sie für einen finanziellen Background, wie sieht es da aus, ist es sauber, haben die Vorstrafen oder nicht?»

Das ist absolut inakzeptabel. Neue Gastfamilien müssen zwingend überprüft werden.
Autor: Franco V. Muff Reiseombudsman

Claudio Cesarano, Geschäftsführer von Linguista, ist schockiert über diese Recherche: «Es geht gar nicht, dass Unterkünfte und Gastfamilien nicht überprüft werden.»

Linguista reagierte und verlangt von den Schulen und Agenturen verbindlich und schriftlich eine Garantie, dass die Gastfamilien in jedem Fall inspiziert werden und dass ein Strafregisterauszug Pflicht ist für die Beherbergung von Personen unter 18 Jahren.

Gastfamilien wollen Geld verdienen

Was dem Journalisten Clément Bürge bei seinem Selbstversuch auffällt: Die Entlöhnung für die Beherbergung von Sprachschülern ist tief. So würde er bei einer anderen Sprachschule pro Student und Woche 90 Franken erhalten – Essen und Miete inklusive. Trotzdem ist die Motivation für die meisten Gastfamilien das Geld – Sprachschülerinnen beherbergen als Zusatzverdienst. Das bestätigt Ombudsman Franco V. Muff: «Die meisten Familien nehmen Studenten auf, um Geld zu verdienen. Je weniger Geld sie erhalten, desto schlechter fällt die Qualität der Beherbergung aus. Das heisst, sie offerieren weniger, das Essen wird noch mehr heruntergefahren, dass es etwas also nicht gibt, zum Beispiel kein Kaffee oder keine Milch.»

Im «Kassensturz»-Studio: Sophie Holenstein von EF Schweiz

Der Ombudsman empfiehlt Eltern:

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  • Minderjährige Jugendliche sollten für einen Sprachaufenthalt nicht ans Ende der Welt gehen, damit im Fall der Fälle die Eltern bald vor Ort sein können oder eine Rückreise vergleichsweise kurz ist.
  • Der oder die Jugendliche sollte genug robust sein, um allein längere Zeit im Ausland zu verweilen. Er oder sie muss auch ausreichend Selbstbewusstsein mitbringen, um sich in einer schwierigen Situation auch ohne Unterstützung der Eltern behaupten zu können.
  • Man kann nicht erwarten, dass es wie zu Hause sein wird; ein Sprachaufenthalt ist ein Abenteuer, man muss eventuell mit weniger zufrieden sein, als man zu Hause hat. Aber ein Sprachaufenthalt ist in der Regel eine bereichernde Erfahrung.

«Kassensturz»-Service

Espresso, 22.08.23, 08:10 Uhr

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