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Snus-Konsum in der Schweiz «Nikotinbeutel sind eher ein Einstiegsprodukt»

Nikotinbeutel sollen Rauchern beim Ausstieg aus der Sucht helfen. Die Realität sieht oft anders aus. Vor allem junge Menschen greifen vermehrt zu Snus. Zudem zeigen Testkäufe: In einigen Online-Shops wird der Jugendschutz kaum kontrolliert.

«Klar, kenne ich das. Das ist wie eine Zigarette, einfach viel stärker», sagt der junge Mann vor der Berufsschule in Zürich. Seine Kollegin ergänzt: «Ich wusste nicht, wie stark die sind. Und als ich dann eins hineingetan hatte, wurde mir sofort schlecht.» Die Rede ist von Nikotinbeuteln, im Jargon auch «All White Snus» genannt.

Nikotinbeutel sind, vereinfacht gesagt, Snus ohne Tabak, kleine Beutel, gefüllt mit einem weissen Pulver aus Nikotin und Zusatzstoffen. Eingeklemmt zwischen Zähnen und Oberlippe geben die sogenannten Pouches dann Nikotin ab. Bei Minderjährigen sind sie erstaunlich weit verbreitet, obwohl der Verkauf an unter 18-Jährige seit einem Jahr gesetzlich verboten ist.

Nikotin hat im Körper nichts zu suchen.
Autor: Alexander Möller Pneumologe

Der Nikotinbeutel-Markt boomt. Heute konsumieren Schweizerinnen und Schweizer 17-mal so viel wie noch vor zwölf Jahren. Philip Morris, einer der grössten Tabakkonzerne, vermeldet stolz, alternative Tabakprodukte machten schon 41 Prozent am Gesamtumsatz aus. Die Marke «Zyn» gehört zum Konzern. «Velo», eine andere starke Marke, ist im Besitz von British American Tobacco.

Hohe Dosen an Nikotin pro Beutel

Doch wie schädlich sind Nikotinbeutel nun? Der Tabakkonzern British American Tobacco, Inhaber der Marke «Velo», behauptet, Nikotin sei «gesundheitlich relativ unbedenklich». Arzt Alexander Möller vom Kinderspital Zürich widerspricht vehement. Nikotin führe, so der Pneumologe, zu Bluthochdruck, steigere das Herzinfarktrisiko und begünstige Mundhöhlen- oder Blasenkrebs. Zusammengefasst: «Nikotin ist etwas, das im Körper nichts zu suchen hat!»

«Kassensturz» ist an Ihrer Meinung interessiert

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Dies umso mehr, als Nikotinbeutel vielfach hohe Dosen Nikotin enthalten. Beutel mit mehr als 10 mg Nikotin werden gemeinhin als «stark» bezeichnet. Bei Jugendlichen gängig sind Beutel mit 30 bis 50 mg Nikotin. Bei einem ausländischen Shop konnte man sogar Beutel kaufen, die 100 mg Nikotin enthalten.

Ein solcher Beutel würde laut Alexander Möller reichen, um ein Kleinkind zu töten. Der Effekt auf Jugendliche sei fatal, so der Arzt, weil diese sich schnell an die extrem hohen Konzentrationen gewöhnten. Besonders stossend ist: Für Nikotinbeutel ist in der Schweiz keine Obergrenze bei der Nikotindosis definiert.

Online-Shops mit ungenügendem Jugendschutz

Schülerinnen und Schüler erzählen, dass an Schulen auch während des Unterrichts «gesnust» werde, und wie einfach es sei, Nikotinbeutel zu kaufen. Der 15-jährige Silvan macht mehrere Testeinkäufe bei etlichen Online-Snusshops. Das Resultat zeigt: Jugendliche kommen erschreckend einfach zu Nikotinbeuteln. Bei 21 von 28 angefragten Shops kann Silvan Nikotinbeutel bestellen, ohne dass er sein Alter zweifelsfrei belegen muss, das heisst mit einer ID oder dem Pass. Immerhin: Sieben Shops verlangen einen solchen Altersnachweis.

So schneiden die Online-Shops bezüglich Jugendschutz ab

Aufpoppende Meldungen wie «Bist du schon 18?» lassen sich einfach wegklicken. Einige Shops argumentieren, das sei ausreichend als Jugendschutz. «Nein», schreibt darauf das Bundesamt für Gesundheit, «ein simpler Button reicht nicht.» Vielmehr seien die Unternehmen verpflichtet, das Alter ihrer Kundschaft «zweifelsfrei festzustellen».

Wer sich nicht daran halte und an Minderjährige verkaufe, mache sich strafbar. Die meisten Shops wollen keine Stellung nehmen. Immerhin: Snus-Tree, Snus-Craft, Vapesky und Rauchwerk betonen, sie würden umgehend eine bessere Altersverifikation einführen.

Nikotinbeutel als Einstieg in die Sucht

Die Tabakindustrie behauptet, die Pouches würden an rauchende Erwachsene verkauft, als Ausstiegshilfe. Zahlen des Bundesamts für Gesundheit zeigen, dass rund ein Drittel der Nikotinbeutel-Konsumierenden minderjährig ist und zwei Drittel der Konsumierenden gar nie geraucht haben. Nur ein kleiner Teil der Rauchenden gibt an, Nikotinbeutel als Alternative zu Zigaretten zu benutzen.

«Ich sehe Nikotinbeutel darum eher als Einstiegsprodukt, nicht als Ausstiegsprodukt, wie die Tabakindustrie behauptet», sagt Dominique Lorandt, Co-Leiterin Kantonales Tabak- und Nikotin-Präventionsprogramm Zürich.

Lügen und Verharmlosungen

Ein Blick zurück in die 1990er-Jahre zeigt: Die Tabakindustrie versucht schon seit Langem, Risiken herunterzuspielen. Historisch ist der Moment, als die grossen Tabakbosse vor dem amerikanischen Kongress 1994 sagten, Nikotin mache nicht abhängig. Das war gelogen, wie im Verlauf der Untersuchungen klar wurde.

Das sagen die Tabakkonzerne zu den wichtigsten Vorwürfen

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JTI (Japan Tobacco International)

«Kassensturz»: JTI hat Alternativprodukte zum Rauchen im Sortiment, die Sie «Reduced Risk Products» nennen. JTI schreibt in diesem Zusammenhang: «Vaping is an alternative way for existing adult smokers …» Dabei blendet JTI aus, dass viele Personen, die diese Produkte konsumieren, vorher gar nicht geraucht haben und somit neu zur Nikotinsucht kommen. Was sagen Sie dazu?

Antwort von JTI: Die Marketingprinzipien von JTI sehen vor, dass wir unsere Kommunikation und Werbung ausschliesslich an erwachsene bestehende Nikotinkonsumenten und Nikotinkonsumentinnen richten. Über unsere risikoreduzierten Produkte informieren wir transparent, damit erwachsene bestehende Konsumenten und Konsumentinnen fundierte Entscheidungen treffen können.

«Kassensturz»: JTI informiert aus unserer Sicht einseitig über das Risiko von Nikotin. Der Info-Text von JTI erwähnt ausgiebig, dass Nikotin «natürlich» sei und die Effekte allenfalls vorübergehend. Hier widersprechen unsere Gesundheitsexperten: Nikotin sei ein starkes Gift, das langfristig Schäden im Körper verursachen könne. Wie erklären Sie diese Diskrepanz?

Antwort von JTI: Wir kommunizieren offen und transparent über die Risiken, die mit unseren Produkten verbunden sind, und stellen unseren erwachsenen bestehenden Konsumenten und Konsumentinnen entsprechende Produktinformationen zur Verfügung. Auf unserer Website wird darauf hingewiesen, dass Nikotin abhängig macht. Wichtig ist, dass aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse darauf hindeuten, dass Nikotin an sich für gesunde Erwachsene – abgesehen vom Suchtrisiko – nur ein geringes Risiko darstellt. Wir informieren erwachsene bestehende Konsumenten und Konsumentinnen transparent darüber, dass Nikotin in hohen Dosen giftig sein kann, jedoch nicht in den Mengen, die typischerweise beim Konsum der von uns vermarkteten Nikotinprodukte aufgenommen werden. Auch wenn Gesundheitsrisiken nicht vollständig ausgeschlossen werden können, haben diese Produkte das Potenzial, die mit dem Rauchen verbundenen Gesundheitsrisiken zu reduzieren.

BAT (British American Tobacco)

«Kassensturz»: BAT wirbt für Nikotinbeutel, sie seien besonders für erwachsene Raucher da, um von der Zigarettensucht loszukommen. Untersuchungen zeigen dagegen, dass dieses Produkt vor allem von Jungen (und Minderjährigen) konsumiert wird. Zudem hat die Mehrheit dieser KonsumentInnen vorher gar nicht geraucht. Was sagen Sie dazu?

Antwort von BAT: BAT setzt sich für den Schutz von Minderjährigen ein. Daher sind alle unsere Produkte (Tabak- und Nikotinprodukte) nur für Personen über 18 Jahre bestimmt.

Das neue Tabakproduktegesetz (TabPG), das am 1. Oktober 2024 in Kraft getreten ist, gewährleistet eine strengere und einheitliche Regulierung auf nationaler Ebene für alle Tabak- und Nikotinprodukte, die nicht an Minderjährige verkauft werden können, und es gibt eine rechtmässige Grundlage, dies auch zu bestrafen.

«Kassensturz»: Die Werbung von Velo richtet sich an ein betont junges Publikum. Das zeigt auch die Wahl der Geschmacksrichtungen. Auch das steht im Widerspruch zur Aussage, das Produkt sei für bestehende Raucher gedacht als Alternative, denn für die meisten Jungen ist das ein Einsteigerprodukt in die Nikotinsucht.

Antwort von BAT: Für alle von BAT hergestellten Produkte halten wir uns an strenge Marketinggrundsätze, die über die Anforderungen der lokalen Gesetzgebung hinausgehen, um die Vermarktung und den Verkauf an Minderjährige zu verhindern. Dazu gehören sichtbare «+18»-Warnungen auf unseren Verpackungen und in unserer Kommunikation. Auch die Information, Sensibilisierung und Rechenschaftspflicht von Einzelhändlern ist für den Schutz von Minderjährigen von entscheidender Bedeutung. Die Geschmacksrichtungen unserer Produkte werden entwickelt, um erwachsenen Konsumenten eine grosse Auswahl zu bieten. Studien haben gezeigt, dass der Umstieg vom Zigarettenkonsum auf eine potenziell weniger schädliche Alternative durch Geschmacksrichtungen erleichtert wird.

«Kassensturz»: BAT schreibt über den Wirkstoff Nikotin: «Nikotin macht süchtig, ist aber gesundheitlich relativ unbedenklich.» Dieser Aussage widersprechen Gesundheitsexperten und sagen, Nikotin ist ein starkes Gift, das schwerwiegende Schäden im Körper verursachen kann. Wie kommen Sie zu Ihrer Einschätzung, Nikotin sei «relativ unbedenklich»?

Antwort von BAT: Zahlreiche Untersuchungen und viele Wissenschaftler zeigen, dass Nikotin abhängig macht. Dies ist bekannt und anerkannt und wird von uns nicht bestritten. Es ist jedoch nicht das Nikotin, sondern es sind die toxischen Stoffe, die durch das Verbrennen von Tabak entstehen, die mit den Krankheiten in Verbindung gebracht werden.

Unsere Alternativprodukte (E-Zigaretten, Nikotin zum oralen Gebrauch usw.) enthalten ebenfalls Nikotin (in verschiedenen Stärken), um den Umstieg für erwachsene Raucher (die sonst mit dem Rauchen nicht aufhören würden) auf potenziell weniger schädliche Produkte zu ermöglichen.

«Kassensturz»: Velo Nikotinbeutel enthalten beträchtliche Mengen Nikotin. Bei den Stärksten nehmen die NutzerInnen so viel Nikotin in den Körper auf, wie sie durch das Rauchen von mehreren Zigaretten aufnehmen würden. Diese starke Dosierung halten Gesundheitsexperten zusätzlich für sehr problematisch. Wie erklären Sie die Dosierung des Nikotins, besonders in den starken Beuteln?

Antwort von BAT: Die Aufnahme von Nikotin zwischen einer (herkömmlichen) Zigarette und einem Nikotinbeutel erfolgt auf unterschiedliche Weise. Im ersten Fall wird das Nikotin über die Lunge aufgenommen, während die Aufnahme im zweiten Fall über die Mundschleimhaut in den Blutkreislauf erfolgt.

Obwohl das TabPG keine maximale Dosis an Nikotin vorschreibt, verpflichtet sich BAT, keine Produkte mit einem Gehalt über 20 mg/Beutel anzubieten. Studien aus Schweden zeigen, dass dank dieser Kategorie die Raucherquote deutlich gesenkt und die gesundheitlichen Risiken gemindert werden können.

Seither sei die Tabakindustrie nicht ehrlicher geworden, meint Wolfgang Kweitel von der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention, denn ihre Werbung für Nikotinbeutel sei immer noch auf Junge statt auf Erwachsene ausgerichtet. Und durch die bunten Verpackungen und die fruchtigen Geschmacksrichtungen fühlten sich auch Minderjährige angesprochen.

Ein gut organisiertes Lobby-Netzwerk

«Die Schweizerische Gesetzgebung bezüglich Tabak- und Nikotinprodukten ist schwach», sagt Wolfgang Kweitel. Das führe dazu, dass die Schweiz im internationalen Vergleich hinterherhinkt. So belegt die Schweiz zum Beispiel in einem Ranking, das die Einflussnahme der Tabakindustrie auf die Politik misst, den 89. und damit den unrühmlichen zweitletzten Platz. Der Grund: Es fehle an Transparenz, und es gebe Interessenkonflikte von Schweizer Parlamentariern.

«Die Tabakindustrie ist bei uns sehr stark mit verschiedensten Wirtschaftsbereichen verflochten, beispielsweise mit den Bauern oder dem Retail-Markt», erklärt Wolfgang Kweitel.

So sei es letztlich dem starken Lobbying zu verdanken, dass es bei Nikotinbeuteln keine gesetzliche Obergrenze für den Nikotingehalt gebe oder die Besteuerung viel tiefer sei als bei Zigaretten. Einschränkende Massnahmen bezüglich der Werbung treten zudem erst Anfang 2027 in Kraft.

Verbote, wie sie in den meisten Ländern der EU gelten, sind daher erst auf der Wunschliste gewisser Gesundheitspolitiker. Flavia Wasserfallen, Regierungsrätin SP/BE, setzt sich im Parlament für eine griffigere Regelung solcher neuen Nikotinprodukte ein. Sie sorgt sich besonders um den Schutz der Jugendlichen: «Wenn man sieht, dass es Produkte gibt, bei denen man vom Nikotingehalt her mit einem Beutel ein Päckchen Zigaretten konsumiert, dann muss man sagen: Das sind hochgefährliche Produkte, bei denen ein Verbot absolut angezeigt ist.»

Immerhin: Anfang 2027 soll der Jugendschutz bei Online-Einkäufen verschärft werden. Dann gibt es einheitliche gesetzliche Grundlagen für behördliche Testkäufe.

SRF 1, Espresso, 14.10.2025, 8:10 Uhr;brus

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