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Umstrittener Vorschlag Geheime Medikamentenpreise sollen im Gesetz verankert werden

Der Bundesrat schlägt ein Kostensenkungspaket mit mehr Intransparenz bei den Preisen für neue teure Medikamente vor.

Hohe Schaufensterpreise für innovative Medikamente und Rabatte, von denen die Öffentlichkeit nie etwas erfährt. Weil viele europäische Länder diese sogenannten Preismodelle bereits anwenden, müsse die Schweiz nachziehen, argumentiert der Bundesrat. Das sei wichtig für den günstigen und schnellen Zugang zu Arzneimitteln.

Eigentlich gibt es in der Schweiz ein transparentes System, wie der Preis für ein neues Medikament festgelegt wird: Dafür werden die Preise des neuen Medikaments in neun europäischen Ländern und die Preise für andere Arzneimittel für die gleiche Krankheit herangezogen.

So werden Preise für neue Medikamente normalerweise festgelegt

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Die Preise für patentgeschützte Medikamente kommen nach einer gesetzlich verankerten Methode zustande: Eine Pharmafirma fordert einen Preis für ihr neues Medikament. Das Bundesamt für Gesundheit BAG vergleicht diesen Preis erstens mit dem Preis des Medikaments in neun europäischen Ländern. Zweitens wird in der Schweiz ein Preisvergleich mit anderen Arzneimitteln für die gleiche Krankheit durchgeführt, wobei für besonders bedeutende Fortschritte ein Innovationszuschlag gewährt werden kann. Aus diesen beiden Faktoren setzt sich der Preis für ein neues Medikament zusammen. Akzeptieren BAG und Pharmafirma den Preis, wird dieser veröffentlicht und von den Krankenkassen übernommen.

Doch schon heute ist das nicht mehr immer der Fall: Hinter verschlossenen Türen feilschen Bundesamt für Gesundheit und Pharmafirmen um Deals. Und so geht’s: Die Firma gibt der Schweiz einen Rabatt, dessen Höhe geheim bleibt. Gegen aussen bleibt der offizielle Preis hoch.

Etwa 120 Medikamente warten heute darauf, dass sie für Patientinnen und Patienten verfügbar werden.
Autor: René Buholzer Geschäftsführer Interpharma

Weil viele Länder das so machen, weiss kein Land vom anderen, was es wirklich bezahlt. Der Preisvergleich mit dem Ausland, der die Preise in einem vernünftigen Rahmen halten soll, wird ausgehebelt.

Die Pharmaindustrie argumentiert, vertrauliche Preismodelle seien für den raschen Zugang zu innovativen Medikamenten wichtig:«Etwa 120 Medikamente warten heute darauf, dass sie für Patientinnen und Patienten verfügbar werden. Preismodelle sind ein Teil der Lösung für dieses Problem», sagt der Branchenverband Interpharma.

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Schneller und günstiger Zugang – Studien widersprechen

Kerstin Vokinger forscht an der Schnittstelle zwischen Recht und Medizin. Sie untersuchte alle 51 Medikamente, die bis Oktober 2020 in der Schweiz mit einem Preismodell auf den Markt kamen. Die Studie zeigte: Bei Medikamenten mit Rabatt haben die Preisverhandlungen mehr als doppelt so lange gedauert als bei jenen ohne Rabatt.

Tatsächlich bringen Preismodelle weder schnelleren noch günstigeren Zugang zu Arzneimitteln.
Autor: Kerstin Vokinger Gesundheitsrechts-Expertin

Andere Forscher hätten gezeigt, dass Pharmafirmen mit höheren Startpreisen in die Verhandlungen gehen, wenn Rabatte angewendet werden, so Vokinger. Sie kommt zum Schluss: «Tatsächlich bringen Preismodelle weder schnelleren noch günstigeren Zugang zu Arzneimitteln.»

Transparenz bereits deutlich eingeschränkt

2019 erhielt die SRF-Rundschau via Öffentlichkeitsgesetz noch Einblick in die geheimen Preisverhandlungen um das Krebsmedikament Perjeta. Sie enthüllte, dass Roche einen hohen Schaufensterpreis von 3450 Franken mit einem Geheimrabatt von über 2000 Franken durchsetzte.

Heute ist der Zugang zu solchen Informationen schon deutlich erschwert: Die Recherche-Redaktion von K-Tipp und Saldo versuchte auf dem gleichen Weg die Preise von 11 sehr teuren Medikamenten transparent zu machen. Vom Bundesamt für Gesundheit kamen geschwärzte Seiten – Informationen zu Rabatten und wahren Preisen wurden unkenntlich gemacht. Die Zeitschriften wollen diese Geheimniskrämerei nicht akzeptieren und ziehen die Fälle ans Bundesverwaltungsgericht weiter.

Gesetzesvorschlag hebelt Transparenz aus

Nun sollen Preismodelle ganz vom Öffentlichkeitsgesetz ausgenommen werden. Diese Geheimhaltung sei «unumgänglich», schreibt der Bundesrat, weil neue Medikamente sonst nicht mehr auf den Schweizer Markt kommen würden.

Die Gesellschaft bezahlt diese Kosten mit und hat darum auch ein Anrecht darauf, die wahren Preise zu kennen.
Autor: Kerstin Vokinger Gesundheitsrechts-Expertin

Kerstin Vokinger findet die Regelung höchst bedenklich: «Die Gesellschaft bezahlt diese Kosten mit und hat darum auch ein Anrecht darauf, die wahren Preise zu kennen. Wenn die Transparenz ausgehebelt wird, fällt auch die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit weg.»

Kassensturz, 27.09.22, 21:05 Uhr

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