Über zwei Dutzend Missstände listet der Report über die Pfannenproduktion in China auf. Das Hilfswerk Solidar Suisse hat in Zusammenarbeit mit der Nichtregierungsorganisation China Labor Watch (CLW) erstmals die fragwürdigen Produktionsbedingungen dieser Industriebranche ans Tageslicht gebracht.
Der Report hat Missstände in fünf verschiedenen Fabriken aufgedeckt. Zwei davon produzieren für die Migros, je mindestens eine für Ikea, Kuhn-Rikon, WMF und die belgische Marke Greenpan, die ebenfalls bei Migros verkauft wird. Auch Coop hat drei Produkte der Marke Zyliss im Sortiment, die aus den kritisierten Fabriken stammen.
Undercover-Recherchen
Basis für den Bericht sind verdeckte Recherchen. «Nirgends waren die Arbeitsbedingungen oder die Bezahlung so schlecht, wie in diesen Pfannenfabriken», so fasst der Mann im Interview mit «Kassensturz» seine Arbeitserfahrungen zusammen. Seinen Namen nennen wir nicht, um ihn zu schützen. Denn er ist ein Ermittler im Auftrag der Nichtregierungs-Organisation China Labor Watch (CLW).
Schon öfters hat er sich für CLW inkognito in Fabriken anstellen lassen, um Missstände aufzudecken. Im letzten Jahr hat er mehrere Wochen in zwei Pfannenfabriken in der Stadt Yunfu in der chinesischen Region Guangdong, unweit von Hongkong gearbeitet.
Auch gegen das Gesetz wird verstossen
Er berichtet von systematischen Verstössen gegen das Arbeitsgesetz: Die Firma Master Group, in der er gearbeitet hat, habe sich nicht an den Mindestlohn gehalten, obligatorische Sozialversicherungsbeiträge nicht einbezahlt und die Arbeiter nicht genügend vor Gefahren am Arbeitsplatz geschützt.
Der Mann ist eine von fünf anonymen Personen, die im letzten Jahr undercover in einer Pfannenfabrik gearbeitet haben.
Simone Wasmann ist Asien-Verantwortliche beim Hilfswerk Solidarsuisse. Sie hat die Schilderungen und Beweise der Ermittler zusammengetragen. Ihr Fazit ist ernüchternd: «Wir haben 27 Verstösse gefunden. Meist auch gegen das chinesische Gesetz.»
Keine Aufträge, kein Lohn
Ein besonders stossendes Beispiel ist das Akkordlohn-System. Das heisst, in allen fünf besuchten Fabriken erhalten die Arbeiter keinen Fixlohn, sondern einen Lohn pro produzierte Pfanne. Die Folgen sind gemäss Simone Wasmann gravierend: «Die Mitarbeiter tragen das ganze Risiko. Wenn keine Bestellungen reinkommen, bekommen Mitarbeiter einen Lohn, der nicht zum Leben reicht. Sie müssen oft einen Nebenjob suchen. Wenn viel los ist, haben sie zwar einen Lohn, der zum Leben reicht, aber sie müssen extreme Überstunden leisten.»
In der Hochsaison sei es üblich, dass Arbeiter zwölf Stunden an sieben Tagen die Woche arbeiten, ohne Ruhetag. So häufen sie bis zu 155 Überstunden pro Monat an. Das chinesische Gesetz würde maximal 36 Überstunden pro Monat erlauben. Auch gesetzlich vorgeschriebene Zuschläge für Überzeit und Wochenendarbeit würden nicht bezahlt, so Simone Wasmann.
Zudem ist der mangelhafte Schutz am Arbeitsplatz ein Problem, das in allen Fabriken Angestellte gefährdet. «Man sieht oft, dass Leute keine Handschuhe tragen oder keine Masken. Wo Masken getragen werden, sind es oft Baumwollmasken, die ungenügend vor Staub schützen, etwa beim Polieren der Pfannen», sagt Simone Wasmann.
Die Ermittler von China Labor Watch fotografierten bei Ihren Einsätzen auch abgelaufene Feuerlöscher und blockierte Notausgänge. Eine Schulung der Mitarbeiter findet nicht statt: Häufig hätten die Mitarbeiter keine Ahnung, mit welchen Chemikalien sie hantierten und könnten sich deswegen gar nicht genügend schützen, kritisiert Solidarsuisse.
Gesetzesverstösse wo man hinsieht. Und doch betonen alle angefragten Firmen, sie würden nur mit Herstellern zusammenarbeiten, die über Zertifikate verfügen, die das Einhalten von Mindeststandards garantieren sollten. Und Ikea, Migros und Kuhn-Rikon schreiben, sie würden selbst vor Ort Kontrollen durchführen. Wie ist das möglich?
Angestellte müssen lügen
Die Antwort liefert der anonyme Ermittler von Yunfu. Die Fabriken täuschen und vertuschen: «Es gibt zwei Lohnabrechnungen. Eine reale für Mitarbeiter und eine, die dem Gesetz entspricht. Diese getürkten Abrechnungen, welche bei Kontrollen den Inspektoren vorgelegt werden, müssten die Mitarbeiter dann unterschreiben. Das ist noch nicht alles: «Vor Inspektionen wird den Mitarbeitern auch eingebläut, was sie zu sagen haben.» Andernorts berichten die Ermittler, nur für die Inspektionen seien Atemschutzmasken verteilt worden, die sonst nicht zur Verfügung waren.
Für Simone Wasmann ist klar: Diese Inspektionen und die Zertifikate, die darauf beruhen, reichen bei weitem nicht aus: «Die Firmen in der Schweiz dürfen sich nicht hinter selbst gemachten Standards verstecken. Sie müssen dafür sorgen, dass es den Arbeitern wirklich besser geht.» Sie fordert, «dass die Firmen die Verantwortung in ihren Lieferketten übernehmen. Dass sie nicht nur kontrollieren, sondern einerseits mit dem Management zusammenarbeiten und ein Bewusstsein für soziale Standards schaffen und andererseits auch die Arbeiter über ihre Rechte aufklären und Beschwerdemechanismen schaffen, die unabhängig sind.»
Schweizer Hersteller versprechen Besserung
Schweizer Pfannenhersteller und -händler müssen ihre Verantwortung wahrnehmen. Und es scheint, sie nehmen die Kritik ernst:
- So erklärt Tobias Gerfin von Kuhn Rikon im «Kassensturz»-Beitrag: «Es gibt Missstände, wie zum Beispiel die Arbeitsplatzsicherheit, wo wir Massnahmen einleiten können. Andere sind jedoch sehr schwierig zu überprüfen, vor allem was das Arbeitsrecht betrifft. Da sind uns praktisch die Hände gebunden.» Wo möglich werde Kuhn jedoch mit allen Lieferanten das Thema ansprechen.
- Ikea schreibt «Kassensturz», sie führe regelmässig angekündigte Kontrollen durch. Man untersuche jetzt die Vorwürfe und werde gegebenenfalls handeln. Auch WMF prüft die Enthüllungen. Alle Lieferanten seien jetzt schon durch unabhängige Auditoren kontrolliert.
- Migros erklärt, man wolle jetzt gemeinsam mit Solidar Suisse die Punkte angehen. Man nehme die Untersuchungsberichte sehr ernst. Generell betont der Grossverteiler: «Die Migros engagiert sich seit fast 20 Jahren für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Lieferantenländern. Unsere Erfahrungen zeigen, dass sich die Situation in China in den letzten Jahren stark verbessert hat.» Eigene Spezialisten vor Ort arbeiten laufend und seit Jahren an den Sozialstandards mit Schulungen und Besuchen bei allen Lieferanten.
- Auch Coop reagiert: «Wir nehmen den Report sehr ernst. Wir sind in Kontakt mit unseren Lieferanten und werden nun festlegen, welche Verbesserungsmassnahmen ergriffen werden müssen.»