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Krankenkassen bocken bei Palliative Care
Aus Espresso vom 06.04.2018. Bild: Colourbox
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Todkranke im Spital: Krankenkassen bocken bei Palliative Care

Das Wichtigste in Kürze

  • Spitalabteilungen für todkranke Patientinnen und Patienten kritisieren das Verhalten von Krankenkassen. Diese seien bei Palliative Care wenig kooperativ. Einzelne Krankenkassen wie die Assura schliessen in der Zusatzversicherung Palliativbehandlungen ganz aus.
  • Regelmässig würden die Krankenkassen die Spitalbedürftigkeit der Patienten anzweifeln und nur den Tarif für Langzeitpflege bezahlen. Die Zusatzkosten für die aufwendige Palliativpflege müssten dann die Spitäler und Patienten tragen.
  • Auf Druck der Kassen müssten auch Patienten kurz vor dem Tod noch einmal verlegt werden in Einrichtungen für Langzeitpflege.
  • Die Krankenkassen berufen sich auf ihre gesetzliche Pflicht die Rechnungen zu prüfen.
  • Das Problem der Finanzierung von Palliative Care in Spitälern ist dem Bundesamt für Gesundheit bewusst. Man sei mit allen Akteuren auf der Suche nach Lösungen.

Bei unheilbar kranken Menschen geht es im Spital nicht mehr ums heilen, sondern um eine möglichst schmerzfreie medizinische Begleitung in den Tod. Krankenkassen würden sich hier oft quer stellen, kritisiert Palliativmediziner Roland Kunz vom Stadtzürcher Waidspital: «Sie haben das Gefühl, Palliative Care ist dann, wenn man nichts mehr macht. Daher müsse sie möglichst billig sein.»

Todkranke Patienten müssen verlegt werden

Regelmässig würde angezweifelt, ob die Patienten überhaupt spitalbedürftig seien. Die Krankenkassen seien oft nur bereit, den günstigeren Pflegetarif zu bezahlen. Lieber als im Spital sähen sie die Todkranken in günstigeren Pflegheimen. In den Palliativabteilungen der Spitäler müssten dann die Patienten oder zumeist die Spitäler selber die Zusatzkosten von mehreren Hundert Franken pro Tag tragen. Oder die Betroffenen müssten kurz vor dem Tod nochmals verlegt werden, sagt Kunz.

Dieselbe Kritik äussern auch die Palliativabteilung des Berner Inselspitals und die Fachgesellschaft Palliative.ch. Steffen Eychmüller vom Berner Inselspital sagt, das Defizit für das Spital belaufe sich pro Fall auf bis zu 6500 Franken, wenn die Krankenkassen nicht bezahlen.

Die Krankenkassen ihrerseits argumentieren, dass es ihre Aufgabe sei, zu hinterfragen, ob eine Leistung wirklich nötig sei. «Die Krankenkassen haben den gesetzlichen Auftrag, die Rechnungen zu prüfen», sagt Sandra Kobelt vom Krankenkassenverband Santésuisse.

Qualitätslabel Palliative Care

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Es gibt in der Schweiz seit einigen Jahren ein Qualitätslabel für Palliativ Care. Es dient der Zertifizierung der ärztlichen Betreuung. In diesem Label sind die Leistungen, die auf einer palliativen Abteilung gemacht werden, klar definiert (Infrastruktur, Personalbestand, Weiterbildungen, Behandlungen, etc).

Das Label sollte eigentlich administrativen Mehraufwand sowohl bei Krankenkassen als auch bei Spitälern verhindern. Damit dies funktioniert, muss das Label jedoch auf beiden Seiten anerkannt werden.

Tarifsuisse und Vertreter der Palliativmedizin haben nun gemeinsam einen Antrag erarbeitet. Dieser will, dass ausschliesslich zertifizierte Kliniken, bzw. Abteilung die spezialisierte Palliativ Care abrechnen können. Der Antrag ist momentan beim Bundesamt für Statistik in Bearbeitung. Die Versicherer könnten somit nur noch eine stichprobenartige Prüfung der Strukturmerkmale, statt einer flächendeckenden, vornehmen.

Keine Palliativbehandlungen in der Zusatzversicherung

Es gibt auch Krankenkassen wie die Assura, die in der Zusatzversicherung Palliativbehandlungen ausdrücklich ausschliessen. Damit würde die Versicherung dem Patienten sagen: «Auch wenn du jetzt 30 Jahre lang teure Prämien bezahlt hast und diese Leistung jetzt benötigen würdest, verweigern wir sie dir nun», findet Palliativmediziner Kunz ironisch. Schliesslich habe der Patient das Kleingedruckte ja unterschrieben.

Die Assura schreibt in einer Stellungnahme an Radio SRF, das Gesundheitssystem sehe für Palliative Care geeignetere Einrichtungen als Spitäler und Privatkliniken vor. In Sterbehospizen würde oft kein grosser Unterschied zwischen Allgemeinversicherten und Privatversicherten gemacht. Alle hätten dieselben Ärzte sowie Ein- oder Zweibettzimmer. Eine Zusatzversicherung würde kaum Mehrwert bringen, findet die Assura. Deshalb habe man Palliative Care ausgeschlossen und könne so die Prämien tiefer halten.

Arbeitsgruppe sucht nach Lösung

Das Bundesamt für Gesundheit BAG sagt auf Anfrage, es sei sich des Problems der Finanzierung von Palliative Care in Spitälern bewusst. «Die Situation ist für die Palliativstationen tatsächlich unbefriedigend», sagt BAG-Sprecher Jonas Montani. Man suche daher in einer Arbeitsgruppe mit Krankenkassen und Spitälern nach einer einheitlichen Finanzierung dieser Leistungen für die ganze Schweiz.

Für Palliativmediziner Steffen Eychmüller vom Berner Inselspital sind die Krankenkassen in dieser Auseinandersetzung ein Spiegel dafür, welchen Wert unsere Gesellschaft dem Lebensende beimisst. Er kommt zum Schluss: «Es hat noch einen sehr geringen Wert. Auch in Schweizer Franken.»

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