Das Wichtigste in Kürze
- Die Veranstalterin «Messe Schweiz» gab 2018 das Aus von Traditionsmessen wie Muba, Züspa und Comptoir Suisse bekannt.
- Solche Messen entsprächen nicht mehr dem Zeitgeist, hiess es.
- Doch es zeigt sich: Vielen Publikumsmessen – vor allem auf dem Land – geht es trotz Onlinehandel prächtig.
- Mancher Messeleiter prophezeit sogar einen «echten Gegentrend zur Digitalisierung».
«Die traditionellen Publikumsmessen entsprechen nicht mehr den Erwartungen von Publikum und Ausstellern.» So begründete die Veranstalterin «Messe Schweiz» Ende 2018 das Aus der geschichtsträchtigen Messen Züspa in Zürich und Comptoir in Lausanne. Zuvor zog dasselbe Unternehmen schon der berühmten Basler Mustermesse den Stecker.
In Zeiten, in denen der gesamte Detailhandel unter dem Erfolg des Onlinehandels ächzt, schlage nun halt auch für die Messen bald das letzte Stündchen, befanden viele Kommentatoren. Schliesslich sei längst das Internet an die Stelle der Messen getreten, um neue Maschinen und Geräte der Öffentlichkeit zu präsentieren.
«Totgesagte leben länger»
Das Konsumentenmagazin «Espresso» von Radio SRF 1 besuchte die traditionelle Churer Publikumsmesse Higa und sprach mit den Messeleitern der Olma in St.Gallen, der Siga im Sarganserland und der Messe am See in Arbon. Alle sind sie überzeugt: «Die Messe ist noch lange nicht out!»
Olmadirektor Nicolo Paganini: «In Zürich, wo die Menschen rund um die Uhr ihre Freizeit- und Ausgangswelt verfügbar haben, bewegt eine Züspa in Oerlikon keine Massen mehr. Das ist bei der Olma ganz anders.»
Die grösste Schweizer Konsumgütermesse lockt jeden Herbst 350'000 Besucher an. Es gibt einen Umzug durch die Stadt, Bundesräte eröffnen das Volksfest, es gibt Säulirennen, und auch die traditionellen Gemüseraffel-Marktschreier und Weindegustationsstände sind beliebte Fixpunkte geblieben.
Die Olma investiert denn auch über 160 Millionen Franken in neue Messehallen, die das ganze Jahr über Kongresse, Versammlungen und weitere Anlässe beherbergen. Der Onlinehandel sei aber schon ein Faktor, gibt Paganini zu: «Was die Aussteller in ihre Onlineauftritte investieren, geht im Werbebudget unter anderem bei einem Messeauftritt verloren.»
Kirschstängeli: Die erste Schachtel an der Messe, dann online mehr davon
An einem Messestand der traditionellen Higa mitten in Chur werden den Besuchern kleine Kirschstängeli-Muster abgegeben. Mancher kauft ein Schächtelchen. Und bestellt später noch mehr davon im Internet.
Das Beispiel zeigt für Messeleiter Marco Engel auf, wie sich Messen und das Internet ergänzen können: «Die Messe ist in der Kaufentscheidung etwas nach hinten gerückt. Viele Besucher kaufen nicht mehr direkt hier ein. Was sie hier sehen, riechen, anfassen, beeinflusst aber sehr wohl ihre Kaufentscheidung.»
Norbert Rüedi, Filialleiter eines Haushaltsgeschäfts, steht schon zum 32. Mal an der Higa und kümmert sich um neue und bestehende Kunden. Der Wandel sei nicht zu übersehen: «Früher verkauften wir bis zu tausend Handföhn-Geräte zum Schäppchenpreis. Heute würde niemandem mehr einfallen, sowas an einer Messe zu erstehen. Das nimmt der Kunde im Vorbeigehen im Einkaufszenter mit oder bestellt es online.» Trotzdem sei der direkte Kundenkontakt an der Higa für ihn unverzichtbar.
Siga: Ausstellerplätze sind schon lange ausgebucht
Schon seit November sind die 400 Ausstellerplätze der Sarganserländer Messe Siga ausgebucht. Rund 50’000 Besucher werden anfangs Mai erwartet. Das sei nur möglich, weil die Messe nur alle drei Jahre stattfinde, ist Messeleiter Jürg Stopp überzeugt.
Das gebe den Ausstellern, oft aus dem regionalen Kleingewerbe, genügend Luft und steigere die Lust beim Publikum. Neben der Ausstellung werden spezielle Thementage für Senioren, Frauen oder Wirtschaftsinteressierte geboten, und es lockt ein reichhaltiges Partyprogramm in den Abendstunden. Allerdings: «Zuviel Rambazamba ist auch nicht gut, das vergrämt die Aussteller.»
Immer noch 50 Konsumgütermessen mit 12'000 Ausstellern
Muba, Züspa, Comptoir Suisse gebe es auch nicht mehr, weil sie die Veranstalterin Messe Schweiz halt nicht mehr wollte, sind sich die Leiter der angefragten Publikumsmessen überzeugt. Wem es gelinge, die Messe attraktiv zu gestalten – etwa indem sie von einer Verkaufs- in eine Erlebnismesse verwandelt wird, dem winke noch immer ein treues Publikum und zufriedene Aussteller.
Immerhin: In der Schweiz gibt es noch immer rund 50 kleine und grosse Konsumgütermessen, an die sich über 12'000 Aussteller anmelden. Rund vier Millionen Eintritte werden dabei gezählt. Beliebt sind auch monothematische Messen wie die Giardina und die Swissbau.
Die Messe geht auf Tournee
Mit rund 14'000 Besuchern ist die ehemalige Frühlingsausstellung in Arbon eine kleine Messe. Seit die Autoaussteller nicht mehr kommen, muss sich der organisierende Verein etwas überlegen. Jetzt hat OK-Chef Michael Willi vor, die neu als Messe am See firmierte Veranstaltung auf eine Tournee durch das Oberthurgau zu schicken. Alle zwei Jahre soll die Ausstellung abwechslungsweise in Arbon, Romanshorn und Amriswil Halt machen.
Die Verantwortlichen sind gefragt, doch mit den richtigen Rezepten – da sind sich alle einig – werden sie nicht nur eine Zukunft haben, sondern sogar noch einen neuen Boom erleben. Quasi ein Gegentrend zur kalten Digitalwelt. «Denn», sagt Olmadirektor Nicolo Paganini, «auch der Mensch ist analog! Möchte sich sehen, treffen, austauschen.»