Fabio Franchini aus dem Kanton Zürich wird von der Krankenkasse Groupe Mutuel betrieben. Und das obwohl der junge Mann dieser Versicherung nichts schuldet. «Ich bin seit zwei Jahren am Kämpfen, es ist eine riesige Belastung», sagt Franchini gegenüber «Kassensturz».
Groupe Mutuel hat Fabio Franchini und seine beiden Brüder in diese prekäre Situation gebracht. Monat für Monat schickt die Krankenkasse saftige Prämienrechnungen, obwohl die Brüder bei einer anderen Kasse versichert sind.
Makler: «Nur eine Offerte»
Und das kam so: Die Mutter der drei Söhne, Edeltrud Franchini, hatte im Sommer 2016 Besuch eines Krankenkassenberaters. Der Makler schwärmte von der Versicherung «Easy Sana», dir zur Groupe Mutuel gehört.
Mutter Franchini wollte eine unverbindliche Offerte. Hierfür sollte sie die Namen ihrer drei Söhne eintragen. Edeltrud Franchini erinnert sich noch gut: «Ich fragte mehrmals wieso ich das ausfüllen soll. Ich bekam immer wieder die Antwort, dass sei nur eine Offerte. Das Büro würde dann spätes alles eintragen und ausfüllen.»
Verbindliche Policen statt Offerte
Doch anstelle von Offerten hat der Berater Mutter Franchini ein Antragsformular ausfüllen lassen. Das realisiert Edeltrud Franchini erst, als ihr Groupe Mutuel verbindliche Versicherungspolicen zustellt. Für sie und ihre erwachsenen Söhne. Edeltrud Franchini versteht die Welt nicht mehr: «Mir ist bewusst, dass ich keine Verträge abschliessen kann für meine Söhne. Wie käme ich auch dazu?»
Als die ersten Prämienrechnungen eintrafen, kontaktierte Sohn Fabio den Makler, der seine Mutter beraten hatte. Immerhin hatte er den ganzen Schlamassel ausgelöst. Für Fabio Franchini ist klar: Ohne seine Unterschrift ist der Vertrag ungültig: «Ich bin volljährig und meine Mutter hat keine Vollmacht.» Am Telefon versprach der Makler alles wieder rückgängig zu machen.
Mahnung, Zahlungsbefehl, Pfändung
Doch nichts passiert, Groupe Mutuel schickt weitere Rechnungen und Mahnungen. Franchinis wehren sich bei Groupe Mutuel. Edeltrud Franchini telefonierte immer wieder mit der Versicherung und betonte, die aufgeführten Namen seien doch ganz klar ihre Handschrift – und nicht die Unterschriften ihrer Söhne.
Aber Groupe Mutuel lenkt nicht ein und terrorisiert die drei Brüder mit einer Lawine von Mahnungen und Zahlungsbefehlen. Anfangs 2018 kommt gar eine Pfändungsankündigung! Für den 24 -jährigen Fabio wäre eine Lohnpfändung der absolute Tiefpunkt: «Ich weiss nicht, ob ich im nächsten Monat überhaupt noch die Wohnung zahlen kann. Das Geld fürs Essen wird auch knapp. Es ist schwierig und macht mich wütend.»
Experte: «Absolut skandalös»
«Kassensturz» zeigt den Fall dem Berner Schuldenberater Mario Roncoroni. Für den Fürsprecher ist klar, zwischen Groupe Mutuel und den Gebrüdern Franchini ist nie und nimmer ein Vertrag zu Stande gekommen: «Ich finde es absolut skandalös: Die drei Brüder haben nichts unterschrieben, sie haben keinen Versicherungsvertrag abgeschlossen. Die Kasse weiss das, und trotzdem geht sie weiter vor und gibt ihnen kein rechtliches Gehör.»
Krankenkassen: Richter in eigener Sache
Wer von einer Krankenkasse betrieben wird, ist am kürzeren Hebel. Normalerweise kann man sich mit einem sogenannten Rechtsvorschlag gegen ungerechtfertigte Forderungen wehren.
Im Spezialfall der Krankenkassen geht das nicht. Sie können eigenmächtig die Einsprüche der Betroffenen abschmettern. Für Schuldenberater Mario Roncoroni ist diese Rechtspraxis problematisch: «Die Krankenkassen sind Richter in eigener Sache und können bereits betreiben, obwohl der Fall noch gar nicht entschieden ist.»
Gegen Groupe Mutuel bis vor Bundesgericht
Dass Groupe Mutuel vor nichts zurückschreckt und unbescholtene, junge Leute in jahrelange Rechtstreitereien verwickelt, zeigt auch der Fall von Alexandra Karli aus dem Kanton Bern. Auch sie wurde von Groupe Mutuel betrieben – bis zur Lohnpfändung.
Angefangen hatte auch hier alles mit dem Besuch eines Maklers, der eine Offerte versprach: «Er sagte, es werde bloss eine Offerte, kein Vertrag! Er würde dann später noch alle Zahlen einfügen und uns alles mitteilen», erinnert sich Alexandra Karli.
«Eine Pfändung belastet enorm»
Leider war es im Nachhinein dann doch ein Vertrag. Eine Police, die Alexandra Karli nicht wollte. Deshalb zahlte sie auch keine Prämien an Groupe Mutuel. Der Konzern beharrte aber auf den angeblichen Vertrag: «Groupe Mutuel schickte Prämienrechnungen obwohl ich nicht bei Ihnen versichert war.
Irgendwann führte das zu Betreibungen. Und diese dann zur Lohnpfändung.» Total 3600 Franken wurden der Coiffeuse vom Lohn abgezogen. Die sechsmonatige Lohnpfändung hinterliess Spuren bei Alexandra Karli: «Es gibt nichts Schlimmeres. Finanziell und psychisch.»
Als sich die junge Frau wehrte, zog Groupe Mutuel den Fall bis vor Bundesgericht. Dort gewinnt jedoch Alexandra Karli, sie konnte beweisen, dass sie bereits bei einer anderen Kasse versichert war.
Groupe Mutuel will Betreibungen löschen
«Kassensturz» konfrontiert Groupe Mutuel mit den oben beschriebenen Fällen. Pressechef Christian Feldhausen spricht im Fall der Gebrüder Franchini von einem Einzelfall, den man noch genauer analysieren müsse: «Wir bearbeiten im Jahr rund 4 Mio. Schriftstücke, da wird nicht jedes einzelne geprüft. Wir versuchen jetzt zu klären, was genau passiert ist.»
Immerhin entschuldigt sich Groupe Mutuel bei der Familie Franchini und verspricht, dass die Betreibungen in den nächsten Tagen gelöscht werden.
Zum Fall von Alexandra Karli, welche von Groupe Mutuel in einem jahrelangen Rechtsstreit bis vor Bundesgericht gezogen wurde, sagt Groupe Mutuel Sprecher Christian Feldhausen: «Wir bedauern, dass die Klärung der Rechtsfrage so lange gedauert hat. Wir geben uns wirklich Mühe, die Dossiers genau zu analysieren und bei Reklamationen unser bestes zu tun.»