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Eine kleine Kulturgeschichte Erkennt man am Garten die Tugendhaftigkeit des Besitzers?

Der Garten mit einer geschnittenen Thuja-Hecke umzäunt, der Rasen frisch gemäht, das Laub weggewischt, jegliches Unkraut entfernt... Uns wird nachgesagt, wir hätten es gerne aufgeräumt und sauber. Dieses Stereotyp spiegelt sich tatsächlich in vielen Schweizer Gärten wieder.

Die Vorstellung von aufgeräumten Gärten habe bereits eine lange Tradition, erklärt Tobias Scheidegger, Kulturwissenschaftler an der Universität Zürich. Bereits in der Literatur des Schweizer Schriftstellers Jeremias Gotthelf (1797-1854) wurde der Wert vermittelt, dass ein Garten, beziehungsweise ein Hof, aufgeräumt zu sein habe. Mehr noch: Er sage sogar etwas über seinen Besitzer und dessen Tugendhaftigkeit aus.

Ein Bauer mit einem liederlichen Acker galt zu Gotthelfs Zeiten als liederlicher Mensch.
Autor: Tobias Scheidegger Kulturwissenschaftler

Noch im 19. Jahrhundert war der Garten, beziehungsweise der Hof und der Acker für viele Menschen noch Teil ihres Erwerbs und ihrer Lebensgrundlage. Der Garten als Ort, wo man seine Freizeit verbringt, war grundsätzlich nur Reichen vergönnt. Für breitere Kreise der Bevölkerung änderte sich das erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Um diesen Wandel zu erklären, muss Tobias Scheidegger etwas ausholen.

Typische Einfamilien-Häuser und ihre Gärten

Die Geschichte der typischen Einfamilienhaus-Gärten, die auch noch heute landläufige Vorstellungen prägen, beginne in der Schweiz in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. In den Peripherien entstanden ganze Quartiere mit lauter Einfamilienhäusern. Immer mehr Menschen konnten sich ein Auto leisten. Plötzlich konnte man also in der Stadt arbeiten und im Grünen wohnen.

In den 1950er-Jahren gab es einen regelrechten Einfamilienhaus-Boom. Und zu vielen dieser Einfamilienhäuser gehörte auch ein Garten.
Autor: Tobias Scheidegger Kulturwissenschaftler

Im Zusammenhang mit den Einfamilienhäusern kamen in den 1950er- und 1960er-Jahre auch Gärten in die Mode, die es zu pflegen galt.

Gartenarbeit als neue Freizeitbeschäftigung

Wer selbst einen Garten hat, weiss: Gärtnern ist eine zeitintensive Angelegenheit. Jäten, Laub wischen und Hecken schneiden – das geschieht nicht von selbst. Laut Scheidegger war es ein neues Phänomen, dass man für solche Arbeit, die nichts mit Erwerbstätigkeit zu tun hatte, überhaupt Zeit hatte.

Gärtnern wurde nach der Einführung der 5-Tage-Woche in den 1960er-Jahren zu einer willkommenen Freizeitbeschäftigung.
Autor: Tobias Scheidegger Kulturwissenschaftler

Um das Jahr 1960 wurde in der Schweiz die 5-Tage-Woche eingeführt: Plötzlich stand ­ der Samstag zur freien Verfügung. Da blieb sogar Zeit, den Rasen zu mähen und Unkraut zu jäten.

Der Gartenbau und sein Zubehör

Der Gartenbau dieser Zeit sei stark geprägt gewesen durch die populäre G59, ­ die erste Gartenausstellung der Schweiz, so Scheidegger. Diese weitläufige Ausstellung im Sommer 1959 in Zürich, lockte eine grosse Besucherzahl an und warb für den schweizerischen Gartenbau.

Scheidegger ergänzt, dass nicht zufälligerweise zu dieser Zeit der Hochkonjunktur und der beginnenden Kunsumgesellschaft vermehrt Gartengeräte wie Rasenmäher auf den Markt kamen, die diese Vorstellung von gut aufgeräumten Gärten unterstützten.

Ein Teil der Freizeitkonsumgüter der 1960er-Jahre war für den Garten bestimmt.
Autor: Tobias Scheidegger Kulturwissenschaftler

Der Naturgarten – ein neuer Trend

In den 1980er-Jahren kam ein neuer Trend auf in Sachen Gartenbau. Stark geprägt worden sei dieser durch den viel gekauften Ratgeber «Der Naturgarten» von Urs Schweizer. Bis über die Landesgrenze hinweg sorgte dieses Buch des Solothurner Gymnasiallehrers für Aufsehen.

Die Schweiz war in den 1980er-Jahren ein Pionierland des Naturgartens.
Autor: Tobias Scheidegger Kulturwissenschaftler

Durchgesetzt hat sich die Idee des naturnahen Gartens noch nicht. Tobias Scheidegger stellt keine Prognose. Er ist jedoch gespannt darauf, wie der Garten von morgen aussehen wird.

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