Was, wenn man seine ganze Energie und sein ganzes Leben auf ein Ziel ausrichtet und dann scheitert? Mit genau dieser Frage sieht sich die Boxerin Ana Milisic konfrontiert. Für die 29-Jährige ist diesen Sommer der Traum von Olympia geplatzt – zum dritten Mal.
Einfach weitermachen, weiterprobieren, oder? Doch die Sache ist aus mehreren Gründen etwas komplizierter. Einerseits weil nicht klar ist, ob Boxen bei den Olympischen Spielen 2028 überhaupt noch eine Disziplin sein wird.
Andererseits weil sich Ana wegen dieser Niederlage mit ganz grundsätzlichen Lebensfragen auseinandersetzt: «Ich frage mich zurzeit, was das Wichtigste im Leben ist. Ist es der Sport? Eine Karriere? Eine Familie gründen?»
Sie weiss es nicht. «Doch ich glaube, am Schluss entscheide ich mich für den Sport. Ich kann nicht genau in Worte fassen, warum. Es gibt ein Gefühl, etwas zu erreichen, ein Gefühl von Glück.»
Scheitern als Ansporn
Doch um welchen Preis? «In meinem Leben dreht sich alles ums Boxen. Ich trainiere zehnmal pro Woche.» Daneben arbeitet Ana 70 Prozent als Sozialarbeiterin. Das muss sie, um ihre Rechnungen bezahlen zu können. Sponsoren hat sie keine.
Aber auch das Scheitern gebe ihr viel. «Das sich wieder zu fangen, wenn man ganz tief unten ist. Wenn man alles an die Wand gefahren hat, worauf man monatelang hingearbeitet hat.»
Schafft sie das auch nach dieser Niederlage? So nah wie 2024 war sie noch nie an den Olympischen Spielen. Sie wäre die erste Schweizer Boxerin gewesen, die es je geschafft hätte.
Die Scham ist gross
Doch der Traum platzte bei einem Qualifikationskampf in Bangkok, Thailand. Sie sei danach wie paralysiert gewesen, habe gar nicht realisiert, was gerade passiert sei. Danach die grosse Scham. «Zwei Wochen habe ich mich nicht ins Gym getraut.» Seit sie boxt, ihre längste Trainingspause.
Als sie wiederkommt, passiert – nichts. Niemand sagt etwas, niemand reagiert, es schweigen alle. «Ob das der richtige Weg ist, weiss ich auch nicht.»
Das Verlieren ist auch nicht immer nur Ansporn, sondern nage auch am Selbstwert. Damit dieser nicht irgendwann komplett aufgefressen wird, hat sich die Sportlerin Hilfe bei einem Sportpsychologen geholt. Denn sie musste lernen, sich nicht nur über ihre sportlichen Leistungen zu definieren. Sonst hätte sie nicht weitermachen können.
Verband ist zuversichtlich
Wieso sie aber überhaupt immer wieder weitermacht, würden sich auch Freundinnen und Familie fragen. Ihre Antwort: «Solange ich Spass habe und Potenzial nach oben sehe, höre ich nicht auf. Plus, ich bin körperlich in der besten Verfassung, seit ich angefangen habe.»
Trotzdem bleibt die Frage, ob Boxen überhaupt wieder eine olympische Disziplin sein wird. Falls nicht, wäre die einzige Karriere-Option für Ana, ins Profilager zu wechseln.
«Das will ich eigentlich nicht und ich bin überzeugt, dass Boxen wieder olympisch wird.» Dieser Meinung ist nicht nur die Boxerin, sondern auch der Generalsekretär von «World Boxing», Simon Toulson: «Wir sind zuversichtlich, dass wir als Verband anerkannt werden, um so Boxen wieder olympisch werden zu lassen.»
Ob die beiden recht haben, wird sich spätestens im Sommer 2025 zeigen.