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Hirnerschütterungen im Sport Bewahrt bald etwas Spucke Profis vor Gehirnschäden?

Hirnerschütterungen sind im Profisport eine unterschätzte Gefahr. Ein neues Verfahren mit Speicheltests soll Abhilfe schaffen.

Christoph Kramer darf sich Weltmeister nennen. 2014 bezwang er mit der deutschen Fussball-Nationalmannschaft Argentinien im Final in Brasilien 1:0. Erinnerungen an die Partie hat der Gladbach-Akteur indes keine. Das lag nicht an einer ausufernden Feier, sondern vielmehr an einer früh im Spiel erlittenen Hirnerschütterung. Er war nach 17 Minuten mit Ezequiel Garay kollidiert.

Befindet sich das Gehirn noch in einer vulnerablen Phase, könnte eine weitere Hirnerschütterung zu irreparablen Hirnschäden führen.
Autor: Walter Kistler Teamarzt HC Davos

Diese Form des leichten Schädel-Hirn-Traumas ist im Sport keine Seltenheit. In Sportarten wie Eishockey, Rugby oder American Football treten Hirnerschütterungen deutlich häufiger auf als im Fussball. Dass Profisportler trotz erlittener Kopfverletzung ihren Einsatz fortsetzen, ist nicht ungewöhnlich, aber hochgefährlich.

Was passiert bei einer Gehirnerschütterung?

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Das Swiss Concussion Center erklärt: «Eine Gehirnerschütterung ist eine diffuse, zumeist reversible Schädigung des Gehirns durch externe Krafteinwirkung gegen den Kopf, die zu rasch nach dem Ereignis eintretenden neurologischen und neurokognitiven Veränderungen mit und ohne Bewusstseinsverlust führen kann.» (https://swissconcussion.com/faq/)

Walter Kistler, langjähriger Teamarzt beim HC Davos, erklärt: «Befindet sich das Gehirn noch in einer vulnerablen Phase, könnte eine weitere Hirnerschütterung zu irreparablen Hirnschäden führen.» Die Regelhüter im Fussball, die Mitglieder des IFAB, reagierten Ende 2020 darauf. Sie führten einen Passus ein, wonach Ligen den Klubs eine weitere Auswechslung bei Verdacht auf Hirnerschütterung erlauben können.

Hier setzt auch ein neuer Test der Universität Birmingham an. Nach Auswertung eines Speicheltests sollen Hirnerschütterungen schon am Spielfeldrand erkennbar werden – innerhalb weniger Minuten. Etwas Spucke könnte also potenziell etliche Langzeitschäden wie Demenzerkrankungen bei Spitzensportlern verhindern.

Kistler ist indes skeptisch. Versuche mit Bluttests scheiterten. Die Schwierigkeit, Hirnerschütterungen zu diagnostizieren, hänge mit der Komplexität des menschlichen Gehirns zusammen: «Was da genau im Gehirn abläuft, darüber wissen wir noch zu wenig.» Bislang sei man noch immer daran gescheitert, Hirnerschütterungen mit einfachen Möglichkeiten sicher diagnostizieren zu können. Sollte der Speicheltest funktionieren, müsse er «immer mit einer ärztlichen Beurteilung kombiniert werden», betont Kistler.

Kramers entscheidende Frage

Kramer, übrigens, wurde im Final 15 Minuten nach dem verhängnisvollen Zusammenstoss ausgewechselt. Wohl nur, weil der Unparteiische hellhörig wurde, als ihn Kramer irritiert fragte: «Spiele ich gerade den WM-Final?» Schiedsrichter Nicola Rizzoli begriff und regte die Deutschen an, Kramer auszuwechseln. Noch heute fehlt dem 30-Jährigen jegliche Erinnerung an jenen Abend. Vor bleibenden Schäden blieb er jedoch verschont. Nicht zuletzt dank Rizzoli.

Radio SRF 1, Morgengespräch, 30.3.2021, 6:15 Uhr ; 

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