Zum Inhalt springen

Wil-Goalie Keller «Reden nicht über Aufstieg»: Wie weit führt der neue Wiler Weg?

Jugend forsch(t): Leader Wil war vor der Saison kein Aufstiegsaspirant. Was macht die Ostschweizer so stark? Goalie Marvin Keller weiss es.

Die wirklich guten Tage beim FC Wil – sie sind eine Weile her. 2002 kam man in den Genuss, Super-League-Luft zu schnuppern. Inklusive dem legendären 11:3-Sieg über den «grossen Bruder» St. Gallen. 2004 folgte der sensationelle Cuptitel – aber auch der Abstieg. Seither sind die Ostschweizer fester Bestandteil der Challenge League, woran auch türkische Millionen nichts ändern konnten.

Bei ebenjener Demütigung des FCSG war Marvin Keller gerade einmal 4 Monate alt. Würde man die aktuelle Tabelle der Challenge League bis Saisonende einfrieren, Wil wäre zurück im Oberhaus. Und Keller hätte beträchtlichen Anteil daran. Denn der Goalie präsentiert sich in dieser Saison als überragender Rückhalt.

In 6 von 16 Liga-Partien blieb der 20-Jährige ohne Gegentor. Von Aufstieg will Keller freilich nichts wissen: «Das ist überhaupt nicht in unseren Köpfen, was auch eine Stärke ist.»

In Wil tritt der U21-Nationalspieler in grosse Fussstapfen. Sein Vorgänger war bis im Sommer 2021 ein gewisser Philipp Köhn. Dessen Geschichte ist bekannt: Innert nicht einmal anderthalb Jahren von der Challenge in die Champions League, von Wil nach Doha. «Er ist eine Inspiration. An ihm sieht man, wie schnell es gehen kann.» Keller, in London geboren und seit eh und je grosser Fan von Manchester United, träumt davon, dereinst seine Klasse in der Premier League oder der Bundesliga unter Beweis zu stellen.

Doch was für den bei GC ausgebildeten Goalie zählt, wie er gerne betont, ist die Gegenwart. Und die ist aus seiner Warte durchaus erfreulich. Was macht die «Äbtestädter» denn so stark? Keller gerät ins Schwärmen, es herrsche ein Teamspirit, den er so noch nie erlebt habe. Und spielerisch? «Wir agieren sehr offensiv, fast schon frech. Trainer Brunello Iacopetta lässt uns jung und wild auftreten». Sinnbildlich dafür steht Mittelfeldmotor Kastrijot Ndau, mit seinen 23 Jahren schon einer der Älteren.

Das Motto scheint tatsächlich zu lauten «Jugend forscht». Die beiden jüngsten Startaufstellungen der Liga mit 23,3 respektive 23,4 Jahren im Schnitt stellte jeweils der FC Wil – trotz dem 35-jährigen Captain Philipp Muntwiler.

Beim 6:1 gegen Aarau funktionierte das prächtig, beim 1:5 in Bellinzona weniger. Mit Rafet Baralija ist auch der jüngste in dieser Saison eingesetzte Akteur ein Wiler. Er kam beim 2:0 über Vaduz im Alter von 17 Jahren und 7 Monaten zum Einsatz. Trainer Iacopetta ist mit 38 Jahren ebenso keiner der alten Schule.

Bislang ist der Wiler Weg von Erfolg geprägt. Er ist die Gegenbewegung zum Investoren-Reinfall, der 2017 mit einem Knall endete. Zwei Jahre zuvor hatte der Türke Mehmet Nazif Günal den FCW mit finanzieller Gewalt ins Oberhaus führen wollen. Er lockte grosse Namen wie Johan Vonlanthen, Jocelyn Roux oder Mattia Bottani in die Ostschweiz. Der eigene Nachwuchs musste sich hinten anstellen.

Natürlich berge die Jugend auch Gefahren, wenngleich die Vorteile mehr Gewicht hätten. In manch einer Situation sei man «zu naiv» aufgetreten. Dem soll mit konzentrierter Erfahrung entgegengewirkt werden. Der Brasilianer Silvio ist mit 309 Spielen die Nummer 6 der ewigen Challenge-League-Tabelle, auch Muntwiler hat bereits 250 Auftritte in der zweithöchsten Liga auf dem Buckel. Neben dem Duo gehört einzig noch Mergim Brahimi dem «Ü30-Klub» an.

Stell dir vor, du gewinnst, und fast keiner geht hin

Am Ursprung des aktuellen Hochs steht die Heimstärke. 22 von möglichen 24 Punkten holte man bisher zuhause, wenngleich im Schnitt nur 1200 Zuschauerinnen und Zuschauer das Bergholz-Stadion besuchen. Nur bei 4 Klubs sind es noch weniger. Keller meint: «Es entsteht in der Region gerade eine Euphorie um den Klub. Die Zuschauerzahlen steigen langsam.» Der Kunstrasen käme dem Team entgegen, eine genauere Erklärung hat er indes nicht.

Mit junger Kraft zurück zu altem Glanz könnte Wils Motto lauten. Das zu Beginn erwähnte 11:3 über St. Gallen übrigens war nicht nur das bis dato torreichste Spiel der Nationalliga A, sondern auch Zuschauerrekord für das Wiler Stadion: 7300 Fans pilgerten ins Bergholz. Keller und Co. würden nur zu gern den Lokalrivalen abermals das Fürchten lehren. Es muss dann auch nicht unbedingt mit 11 Toren sein, schliesslich wird der neue Wiler Weg von Bescheidenheit gesäumt.

SRF zwei, Super League – Highlights, 13.11.22, 19 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel