Vivianne Miedema, Marie-Antoinette Katoto und Delphine Cascarino, Leah Williamson und Beth Mead oder Giulia Gwinn und Nadia Nadim: Nein, das ist nicht die mögliche Liste für die Wahl der besten Spielerin der Frauen-WM in Australien und Neuseeland. Statt sich für die Elf des Turniers zu bewerben, fehlen all diese Stars – wegen Kreuzbandrissen.
Die Häufung fällt ins Auge, ist aber kein ganz neues Phänomen, wie die Schweizer Teamärztin Tanja Hetling erklärt: «Das kommt nicht plötzlich und ist seit Jahren bekannt. In der Sportmedizin ist nichts so gut untersucht wie das Kreuzband.»
5 bis 8 Mal so hohes Risiko für Frauen
Dass so viele grosse Namen für die WM in Australien und Neuseeland ausfallen, ist reine Mathematik. «Bei den Frauen ist das Risiko eines Kreuzbandrisses 5 bis 8 Mal so hoch», erläutert Hetling.
Die ernüchternde Hauptursache dafür sind schlicht anatomische Gründe: «Frauen haben eher ein X-Bein, das wiederum erhöht die Gefahr, das Knie nach innen zu verdrehen», so Hetling. «Zudem haben Frauen kleinere Knie, ein breiteres Becken und eine höhere Achse der Gewichtsverlagerung. Daraus resultiert weniger Stabilität.»
Dazu kommt: Wie bei so vielem im Sport hängt die Forschung bei den Frauen vergleichsweise hinterher. Die Basis aller Untersuchungen ist auf Männer abgestimmt, die Trainingslehre ebenfalls. Zwar habe sich schon einiges getan, dennoch fordert Hetling mehr geschlechterspezifische Forschung. Bei Frauen komme bei all den genannten anatomischen «Nachteilen» der Einfluss der Menstruation dazu.
Auch Beney und Fölmli fehlen wegen Kreuzbandrissen
Auch das Schweizer Team blieb von Kreuzbandrissen nicht verschont. Shootingstar Iman Beney – sie wurde kürzlich operiert – erlitt die Verletzung Anfang Juli. Svenja Fölmli ist nach einem Kreuzbandriss Ende Oktober ebenfalls noch nicht fit genug.
Was wird getan, um diese Albtraumdiagnose für jeden Sportler und jede Sportlerin seltener zu machen? Hetling: «Die Prävention läuft schon seit Jahren oder Jahrzehnten und wird ständig neu verfeinert.» Damit erreiche man immerhin Einschränkungen des Kreuzbandriss-Risikos von 60 bis 80 Prozent. Und doch, so sagt die Ärztin der Nati mit Bedauern: «Es sind halt keine 100 Prozent.»