Dem exzentrischen Ausnahmekönner gelten fast ausnahmslos die grossen Lettern im portugiesischen Medien-Dschungel. Dies, obwohl sich der 37-Jährige sportlich noch nicht in den Vordergrund gedrängt hat.
Auf der iberischen Halbinsel gibt es derzeit gefühlt 10 Millionen Nationaltrainerinnen und -trainer – und sie alle haben zum Thema Ronaldo eine Meinung. Geht es nach der Mehrheit der Leserschaft der renommierten Sportzeitung A Bola, dann hat der 194-fache Internationale in der Startelf des Teams von Fernando Santos nichts zu suchen. 70 Prozent sprachen sich im Hinblick auf das Spiel gegen die Schweiz gegen einen Einsatz von Beginn weg aus. Obwohl er mit seinem 9. WM-Treffer zum Rekordtorschützen Portugals avancieren könnte.
Es kommt wenig überraschend, dass der «richtige» Nationaltrainer Santos bei der Medienkonferenz auf diese Umfrage angesprochen wird. Als er merkt, worauf die Frage abzielt, kann er sich ein gelangweiltes Schmunzeln nicht verkneifen. Natürlich lese er solche Dinge nicht, gibt der 68-Jährige zu Protokoll, um in bester Fussball-Floskel-Manier anzufügen: «Ich konzentriere mich nur auf mein Team.»
Unvergessener EM-Titel 2016
Dazu gehört Ronaldo, seit er an der EM 2004 sein Nationalmannschafts-Debüt feierte. Die sportlichen Meriten sind unbestritten. 118 Tore in 194 Länderspielen – Weltrekord. Unvergessen, wie er Portugal 2016 zum EM-Titel peitscht. Im Final tut er dies hauptsächlich und mit vollem Elan an der Seitenlinie, weil er nach wenigen Minuten unter Tränen verletzt vom Feld muss. Mit ihm weint eine ganze Nation. Am Ende sind es Freudentränen.
Inzwischen hat man sich auseinandergelebt, die Gefühle sind abgeflacht. Wie Ronaldos Leistungen. Bei seinem Ex-Klub Manchester United überwarf er sich mit Trainer Erik ten Hag, der Vertrag wurde aufgelöst. Seine Karriere lässt er nun wohl in Saudi-Arabien vergolden. An der WM diskutiert man nicht etwa über atemberaubende Dribblings und spektakuläre Tore, sondern über das «Haar Gottes» und teaminterne Misstöne.
Drohen Ronaldo Konsequenzen?
Ebendiese goutiert sein Trainer überhaupt nicht. Ronaldo hatte bei seiner Auswechslung gegen Südkorea seinen Unmut Kund getan und einen Gegenspieler angeherrscht, «den Mund zu halten.» «Ich habe die Bilder gesehen. Das hat mir gar nicht gefallen», rügte Santos seinen Captain. Ob dem Superstar nun gar die Armbinde entzogen wird? «Ich entscheide immer auf dem Weg ins Stadion, wer Captain sein wird», erklärt Santos vage.
Bleibt abzuwarten, ob Ronaldo gegen die Schweiz tatsächlich ein Reservisten-Dasein droht. Wenn, dann könnten die Gründe nicht nur sportlicher Natur sein. Vielleicht verpasst ihm Santos auch einen Denkzettel. «Es geht am Ende ums Team. Wenn ein Spieler das Gefühl hat, er kann tun und lassen, was er möchte, dann kommt das nicht gut an», erklärt Matos Rodrigues, Journalist beim Sender Sport TV. Doch für ihn ist klar: «Mit Ronaldo ist Portugal besser.»