Die Stimme ist etwas kratzig, als Reto Gertschen sich an einen Tisch setzt und die kleine Gruppe Medienschaffende vor sich begrüsst. Er habe in den letzten Tagen viel mehr reden müssen, als er sich das gewohnt sei, sagt der Interimstrainer des Schweizer Nationalteams der Frauen und lacht.
Der eigentliche Ausbildungschef des Schweizerischen Fussballverbandes, der nach der Entlassung von Inka Grings die Schweiz zu einem versöhnlichen Abschluss in diesem Jahr führen soll, will seine Spielerinnen kennenlernen, spüren, was sie beschäftigt. Dabei gehe es, sagt Gertschen, nicht nur um das Nationalteam, sondern auch um die jeweiligen Klubs der Spielerinnen und allfällige Herausforderungen, welche ihnen dort bevorstehen. «Es ist wichtig, dass sie darüber reden können.»
«Jetzt stehen wir alle in der Pflicht»
Der Berner hatte schon bei seiner Vorstellung betont, dass er in der kurzen Zeit mit zwei Spielen innert fünf Tagen – am Freitag in Luzern gegen Schweden und am kommenden Dienstag zum Abschluss der Nations League in Parma gegen Italien – nicht grosse taktische Dinge werde vermitteln können. Vielmehr geht es Gertschen darum, einem verunsicherten Team mit vielen talentierten Spielerinnen wieder Vertrauen zu geben, das unter Grings mit nur einem Sieg aus 14 Partien verloren gegangen ist.
Wobei Géraldine Reuteler sagt: «Reto kann nicht mit uns die Welt retten. Wir müssen den Ball schon selbst hin und her schieben.» Über die letzten Monate im Nationalteam spricht die 24-Jährige jedoch deutlich weniger gern. «Das Thema Inka ist für mich Vergangenheit. Ich konzentriere mich auf die zwei Spiele und dass wir das Jahr gut abschliessen.»
Es können aber nicht alle verbergen, dass sie nicht unglücklich darüber sein dürften, dass es auf der Trainerposition zu diesem Wechsel gekommen ist. Eseosa Aigbogun sagt, sie sei froh, dass es eine Veränderung gegeben habe, «aber jetzt stehen wir alle in der Pflicht und müssen Gas geben.» Vorerst sollen das die Schweizerinnen unter Reto Gertschen tun. Doch der SFV hat klar kommuniziert, dass der Berner nur eine interimistische Lösung bis Ende Jahr sei.
Wunsch nach Langfristigkeit
Nach dem Abgang Nils Nielsens Ende 2022 wünschten sich die Verantwortlichen im Verband eine andere Herangehensweise und engagierten mit Grings eine Trainerin, die grossen Wert auf Disziplin und Kontrolle legte. Gut möglich, dass das Pendel nun wieder in die andere, empathischere Richtung ausschlägt.
Die Person brauche internationale Erfahrung, Führungs- und Fachkompetenz, sagte Marion Daube, Direktorin Frauenfussball beim SFV. «Aber das genaue Profil müssen wir noch im Detail besprechen.» Die Zeit drängt nicht, auch wenn Daube sagt, je schneller eine Lösung gefunden sei, desto besser. Und auch dieser letzte Zusammenzug des Jahres soll in die Beurteilung der Gesamtsituation einfliessen.
Folglich wäre auch denkbar, Gertschen vom Interims- zum fixen Coach zu befördern, obwohl sich dieser in seiner Rolle als Ausbildungschef sehr wohl fühlt, wie er selbst schon öfter betont hat? «Ich sage einmal, wir wollen nichts ausschliessen», entgegnet die Direktorin. Und fügt an: «Wir wollen nicht schon bald wieder in der gleichen Situation sein. Wir streben eine langfristige Lösung an.»