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Von GC in den Südpazifik Äpfel, Armut, grosse Träume: Jankowski will Fidschi zur WM führen

Erfolge feiern und Armut bekämpfen: Ein Ex-«Hopper» hebt Fidschis Fussball mit Innovation und Struktur in unbekannte Höhen.

Schliessen Sie die Augen und denken an Fidschi. Was sehen Sie: Weisse Strände, blaues Meer? Dolce Vita, Kaltgetränke? Die Einheimischen jedoch, so erklärt Timo Jankowski, sind dem Luxusleben etwa so nah wie der Inselstaat der Austragung einer Ski-WM: «Klar gibt's das Postkarten-Fidschi, die Trauminseln. Doch davon haben die meisten Fidschianer nie etwas gesehen, meist ist das im Besitz von ausländischen Privatinvestoren.»

Jankowski ist Technischer Direktor in Fidschis Fussballverband. Der Deutsche arbeitete vor seinem Ozeanien-Abenteuer fast 10 Jahre in der Schweiz. Vor allem bei GC, wo er im Nachwuchs und als Co-Trainer tätig war. Ein diametral anderes Umfeld, jedoch lehrreiche Jahre.

Timo Jankowski

Technischer Direktor Fussballverband Fidschi

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1985 im Landkreis Waldshut geboren, spielt er in der U17 in der höchsten deutschen Jugendliga. Nach dem Abitur reist er durch Ozeanien, absolviert eine Saison in Neuseelands höchster Liga. In Vanuatu fängt er sich einen Virus ein, der das Ende seiner aktiven Fussballkarriere bedeutet. So startet er nach einem BWL-Studium mit nur 24 Jahren den Trainerschein.

Erst Stützpunkttrainer beim DFB, kommt Jankowski 2012 nach Zürich. Bei GC arbeitet er neben Grössen wie Ricardo Cabanas, Johann Vogel und Boris Smiljanic als Nachwuchstrainer. Zweimal wird er auch Co-Trainer beim Fanionteam der «Hoppers». Nach 10 Jahren und der chinesischen Klub-Übernahme ist Schluss und das Südsee-Abenteuer auf Fidschi beginnt.

Als Chinesen GC übernahmen, merkte er: Es ist Zeit für Neues. Raus aus der Komfortzone, nachhaltig etwas entwickeln. Ein Engagement in Afrika platzte wegen Covid. Dann wurde Jankowski darauf aufmerksam gemacht, dass Fidschi einen Technischen Direktor sucht. Nach dem Abitur hatte er in Neuseelands 1. Liga gespielt und verschiedene Nationalspieler aus Ozeanien kennengelernt.

Nun lebt der Mann aus Waldshut im Nordwesten von Fidschis Hauptinsel Viti Levu. Auf einem Campus des Fussballverbands in Ba, «dem richtigen Fidschi. Im Umkreis von etwa 100 km sind wir die einzige weisse Familie.» Er kannte den Ort von früheren Reisen, ganz blieb der Kulturschock indes nicht aus. Sonderbehandlung geniesst Jankowski keine, seine Töchter gehen auf eine «normale Schule um die Ecke».

Fussballtrainer
Legende: «Von der vielleicht reichsten Stadt der Welt ins Drittweltland» So beschreibt Timo Jankowski den leichten Kulturschock, den die Migration von Zürich nach Ba auf Fidschi bedeutete. Auf diesem Bild aus dem Frühling 2017 ist der Deutsche als Co-Trainer von Carlos Bernegger zu sehen. Keystone/Siggi Bucher

Das Mädchen, das 8 Äpfel ass

Jankowski nennt eindrückliche Beispiele für das Leben auf der Insel: Eine Mehrheit der U19-Spieler erhalte im Trainingscamp zum ersten Mal Fussballschuhe. Man ist barfuss unterwegs.

Man konnte mir keinen einzigen Spieler nennen.

Er erzählt die Geschichte eines 12-jährigen Mädchens: abgemagert, aber mit unbändiger Begeisterung für Fussball. «Ich lud sie zu uns ein», schildert der Schwabe. «Meine Frau stellte Kekse und Kuchen auf den Tisch. Doch das Mädchen sah die Obstschüssel und ass innert einer halben Stunde 8 Äpfel. Kekse und Kuchen liess sie unberührt.» Da begriff er, dass Obst ein Luxusgut ist. Und führt seither bei jedem Besuch auf dem Camp eine Box Äpfel mit sich.

Seine Arbeitstage sind vielfältig. Er trägt Verantwortung für alle Abteilungen. Für Fussball, Futsal, Beachsoccer. Als Jankowski den Job übernahm, war die Struktur gelinde gesagt suboptimal. Eine Nachwuchsliga gab es nicht. «Die Qualis zur U17- und U20-WM standen bevor. Ich bat um einen Überblick über den Spielerpool. Da herrschte Schweigen, man konnte mir keinen einzigen Spieler nennen.»

Der 38-Jährige beharrte auf einer Regel, mit der er sich nicht nur Freunde machte: In jeder Mannschaft der höchsten Liga müssen zwei U19-Akteure in der Startformation stehen. Das trug rasch Früchte, die U20 – die es beim Amtsantritt des Schwaben noch gar nicht gab – schaffte überraschend die WM-Quali. Mit Jankowski als Coach und viel Pragmatismus: kompakte Defensive, Fokus auf Standards.

Eine WM-Teilnahme soll's sein

Das ist nur die halbe Wahrheit in Sachen Scouting. Genauso gehört dazu, dass der Technische Direktor höchstselbst von Insel zu Insel tuckert, um in abgelegenen Regionen Talente zu finden.

Für das Fanionteam der «Bula Boys» rief Jankowski das ambitionierte Ziel WM-Quali aus. Die Aufstockung auf 48 Teams verleiht dieser Vision gewisse Realität. Ozeanien erhält statt einem halben anderthalb Startplätze. Während sich wohl Neuseeland den fixen Startplatz holt, schielt Fidschi auf die Playoffs.

Mit der Macht des «Mana» zur Heimmacht

Dort könnte der Heimvorteil zum Tragen kommen, die klimatischen Bedingungen, die nicht unkomplizierte Anreise. Das «Mana», wie Jankowski erklärt: eine übermenschliche Kraft im Heimatboden, an die viele Fidschianer glauben.

Den Fussball prägt der Nationalsport Rugby (Fidschi ist Olympiasieger 2016 & 2020), was die Armut ein Stück weit bedingt: Gespielt wird oft mit einer halbvollen Wasserflasche auf Matsch. Nun hat man damit begonnen, Synergien zu nutzen. 2 Olympia-Bronzegewinnerinnen im Rugby spielen mittlerweile für die Fussball-Nati.

Wir haben genetisch viele schnellkräftige, physisch starke Spielerinnen.

Die Frauenequipe ist resultattechnisch relativ weit. Sie kam im Vorjahr in den Final der Ozeanien-Meisterschaft. Kürzlich schaffte dies auch die U20. Woran liegt’s? «Wir haben genetisch schnellkräftige, physisch starke Spielerinnen.» Dies fördere man, indem alle U19-Teams der Männer zwei Frauen in der Startformation aufstellen müssen.

Eines Tages sollen dank Jankowskis umtriebiger Art auch Fidschis Frauen WM-Luft schnuppern. Spätestens dann sollen Äpfel und Fussballschuhe nicht mehr als Luxusgut gelten – und der Besuch einer heimischen «Postkarten-Insel» realistisch werden.

Radio SRF 1, Abendbulletin, 15.09.2023 18:45 Uhr

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