Nach dem rosaroten Herbst mit der geschafften WM-Qualifikation war dieses Länderspieljahr für die Schweiz bis zum Sieg gegen Portugal am Sonntag eine Standortbestimmung, die auch Mängel aufdeckte.
Murat Yakin hatte sich erstmals seit seiner Ernennung zum Nati-Trainer mit der ganzen Dimension seines Jobs auseinanderzusetzen. Die Niederlage in England und das Unentschieden gegen den Kosovo in den Testspielen im März waren noch nicht besorgniserregend, doch spätestens nach dem diskussionslosen 0:4 in Lissabon im Rahmen der Nations League war die Kritik lauter geworden.
Sieg mit Signalwirkung
Auch wenn die Verantwortlichen gegen aussen weiterhin Selbstbewusstsein demonstrierten, dürften die 5 Spiele ohne Sieg am Selbstvertrauen genagt haben.
Wie wichtig es war, sich beim 1:0 am Sonntag für den weiteren Verlauf des Jahres mit der anstehenden WM im November ein gutes Gefühl zu holen, zeigte sich an den Reaktionen der Spieler und des Trainers in Genf. «Es tut der Mannschaft gut, auch einmal gegen einen grossen Gegner zu gewinnen», meinte Yakin.
Der 47-Jährige dürfte auch andere Erkenntnisse gewonnen haben:
1. Xhaka bleibt der Chef auf dem Platz
Einmal mehr zeigte der Captain in diesem Zusammenzug mehrere Gesichter. Nach bescheidenen Leistungen gegen Tschechien und in Portugal drehte Granit Xhaka auf und bewies einmal mehr, dass er aus Druck und Kritik Kraft für sein Spiel schöpfen kann.
In seiner Paraderolle vor der Abwehr dirigierte der 29-Jährige am Sonntag wieder wie gewohnt und wurde von Yakin für seine Führungsqualitäten explizit gelobt. Trainer und Captain hatten sich schon vorgängig bemüht, Gerüchte über einen allfälligen Zwist zu dementieren. Erreicht der Arsenal-Söldner seine Topform, ist und bleibt er das Herz der Mannschaft.
2. Ohne die Leistungsträger wird es schwierig
«Es zeigt, dass die bestmögliche Formation auf dem Platz stehen muss, damit solche Exploits möglich sind», analysierte SRF-Nati-Experte Benjamin Huggel den Auftritt gegen Portugal. Augenfällig war das vor allem in der Abwehr, wo Manuel Akanji und Nico Elvedi zuerst noch ihre Verletzungen auskurieren mussten.
In der gewohnten Formation fand das Duo zu alter Stärke und Sicherheit zurück – mit positiven Effekten auf den Rest der Mannschaft. Obwohl Ricardo Rodriguez auf der linken Abwehrseite nicht immer souverän wirkte, wird es am Routinier an der WM wohl kein Vorbeikommen geben. Gute Karten hat auch Silvan Widmer: «Rechts hat Widmer ganz klar das Rennen gegen Kevin Mbabu gewonnen», so Huggel.
Im Sturm hofft der Experte darauf, dass Haris Seferovic im Herbst bei Benfica Lissabon mehr Einsatzzeit bekommt respektive von Verletzungen verschont bleibt. «Er ist sehr wichtig für die Nati, auch weil er schon so lange dabei ist.» Gegen Portugal gelang ihm im 86. Spiel sein 25. Tor für die Schweiz.
3. Fragezeichen um Shaqiri
Noch einen Treffer mehr auf dem Konto hat Xherdan Shaqiri, der in Katar seine 6. Endrunde an einem grossen Turnier bestreiten wird. Sofern er denn gesund bleibt: Einmal mehr machte dem 30-Jährigen in Genf der Oberschenkel zu schaffen, er musste bereits vor der Pause ausgewechselt werden.
Bei Chicago Fire bekommt er zwar viel Einsatzzeit, läuft aber für einen Klub auf, der in der Major League Soccer nicht die erste Geige spielt. Ob er in der Nati weiterhin den Einfluss vergangener Tage entfalten kann, wird sich zeigen.
Die Basis ist gelegt
Die Sommerferien werden den Spielern und dem SFV-Staff gelegen kommen, um eine saubere Auslegeordnung vorzunehmen. Die Partien in der Nations League könnten dabei unverhofft doch noch aufschlussreich gewesen sein.