19 Jahre ist es her, dass das «Grande Lugano» für Furore sorgte. Spieler wie Julio Hernan Rossi oder Christian Gimenez liessen das Fussball-Tessin jubeln, der Meistertitel wurde nur knapp verpasst. Nach 19 Jahren steht Lugano erstmals wieder an der Tabellenspitze der Super League.
Baumeister des Erfolgs ist Maurizio Jacobacci. Der 57-Jährige hat die Tessiner stabilisiert, keine Niederlage nach 6 Spielen kassiert. Konstanz – etwas, wovon man in der Sonnenstube der Schweiz lange nur träumen konnte. 2002 stieg Lugano in die Nationalliga B ab, es folgte der Konkurs mit anschliessendem Neustart in der 2. Liga interregional. Erst seit 2015 kicken die «Bianconeri» wieder im Oberhaus des Schweizer Fussballs.
Als Jacobacci das Team im Herbst 2019 übernahm, lag es auf dem vorletzten Platz. Der gebürtige Berner führte die Luganesi noch auf Rang 5. Dass er seine Arbeit als Feuerwehrmann versteht, war hinlänglich bekannt. Sion hatte Jacobacci in der Saison 2017/18 vor dem Abstieg gerettet. Kurze Zeit später wurde er dennoch von Klubpräsident Christian Constantin auf die Strasse gestellt.
Zurück zum einfacheren Fussball
Wäre Lugano ein Haus, könnte man sagen: Jacobacci hat den Brand nicht nur gelöscht, sondern eine komplette Renovation vorgenommen. Wie gelang ihm das? «Entscheidend war, dass ich auf die Spieler eingegangen bin, viel kommuniziert habe – auch individuell», erklärt der 57-Jährige im «sportpanorama».
Und die sportliche Komponente? «Wir haben zum einfacheren Spiel zurückgefunden. Das hat der Mannschaft geholfen.» Heisst: Nicht um Gedeih und Verderb hinten herauskombinieren, auch einmal den langen Ball schlagen, die Offensive zielstrebiger suchen. Auch Ballbesitz muss nicht um jeden Preis sein. Auffällig: Bei allen 3 Saisonsiegen (gegen Luzern, St. Gallen und Lausanne) hatte der Gegner jeweils mehr Ballbesitz – oft deutlich.
Erst mit 55 Jahren durfte Jacobacci bei Sion erstmals als Cheftrainer einen Klub in der höchsten Schweizer Liga führen. Er ist eine Art Gegenentwurf zum in der Branche archetypischen «Laptoptrainer» – den Nagelsmanns und Tuchels, mit ihrem Kurzpassspiel und extremen Gegenpressing. Dabei startete auch Jacobacci seine Trainerkarriere relativ jung. 34-jährig übernimmt er Mendrisio, während 25 Jahren trainiert er 20 Klubs. Mit GC wird er als Assistent von Hans-Peter Zaugg 2001 Schweizer Meister. Der Sprung zum Chef-Coach muss indes noch lange warten. Ein schwieriger Weg.
Dass Jacobacci auf seinem Handy möglicherweise ein Zügelunternehmen auf der Kurzwahltaste 1 hat, kennt er schon von seiner aktiven Karriere. Der einst talentierte Stürmer – in 303 Nati-A-Partien gelangen ihm immerhin 80 Tore – verbrachte seine 15 Profi-Jahre bei 10 unterschiedlichen Klubs. Highlight: der Meistertitel 1987 mit Xamax. Dank weiteren Stationen bei YB, St. Gallen, Servette oder Bellinzona lernte er alle Ecken der Schweiz kennen – und spielte mit Xamax und Wettingen im Uefa-Cup gegen Teams wie Real Madrid oder Napoli.
Renzetti hat viel in sein Kind investiert.
Doch trotz aller aktueller Herrlichkeit – sein Chef im Tessin ist – wie zuvor Sions Constantin – mitunter unberechenbar: Klubpräsident Angelo Renzetti hat Jacobacci mit einem im Trainer-Business unüblichen unbefristeten Vertrag mit 2 Monaten Kündigungsfrist ausgestattet. Zudem will Renzetti «seinen» Klub veräussern. Kein Problem für Jacobacci, er ist sich sicher: «Renzetti hat viel in sein Kind investiert, er wird es nicht einfach dem Nächstbesten verkaufen.»
Jacobacci, der sich neben seinem Profil als Übungsleiter wie erwähnt auch als Kommunikator sieht – er spricht 3 Sprachen fliessend, dazu «ordentlich englisch» –, ist angesichts der aktuellen Erfolge eher um das Bremsen der Euphorie bemüht. Er betont: «Die Saison ist noch jung. Und bislang haben wir schon das Maximum herausgeholt.»
Doch nach einer einjährigen Serie der Ungeschlagenheit im Cornaredo werden all diese Beteuerungen nicht genügen, um die Träume der Fans im Sottoceneri nach einem neuen «Grande Lugano» zum Platzen zu bringen ...