Zum Inhalt springen

Header

Audio
«Die Qualität ist bei uns vorhanden»
Aus Fussball vom 25.10.2019.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 12 Sekunden.
Inhalt

Thun-Sportchef Andres Gerber «Habe nicht das Gefühl, alles auf den Kopf stellen zu müssen»

Der Saisonstart in Thun ist gründlich misslungen. Nach 11 Runden liegen die Berner Oberländer mit 6 Punkten auf dem letzten Platz. Im SRF-Interview spricht Sportchef Andres Gerber über Druck in der aktuellen Situation, Zahlen und den verletzten Captain Dennis Hediger.

SRF Sport: Andres Gerber, in der letzten Saison hatte Thun nach 11 Spielen 17 Punkte auf dem Konto. Diesmal sind es nur 6. Wo liegt der Unterschied?

Andres Gerber: Der Unterschied sind genau 11 Punkte. Aber im Ernst: Wir stecken in einer sehr komplexen Situation. Offensichtlich ist, dass Dennis Hediger seit 8 Monaten verletzt fehlt, auch Matteo Tosetti fiel immer wieder aus. Das sind einschneidende Personalien. Wir sind nicht so gut gestartet wie in der letzten Saison und plötzlich kommt eine Dynamik in das Ganze. Aber wer unsere Spiele gesehen hat, der weiss auch, dass wir im Moment unter Wert geschlagen wurden. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich alles auf den Kopf stellen muss oder dass Panik ausbricht.

Wir beschönigen nichts, unterschätzen die Situation aber auch nicht. Ich weiss, dass wir nicht alles gut machen.

Wäre es nicht einfacher, die Situation einzuordnen, wenn Thun schlecht spielen würde?

Nein, für mich ist es viel besser zu sehen, dass es grundsätzlich harmoniert, als wenn wir sang- und klanglos untergehen würden. Das wäre dann ein Zustand, in dem ich eingreifen müsste; das ist aber bei uns nicht der Fall. Wir beschönigen nichts, unterschätzen die Situation aber auch nicht. Ich weiss, dass wir nicht alles gut machen. Letztes Jahr ist viel für uns gelaufen, jetzt läuft viel gegen uns.

Live-Hinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Das Berner Derby zwischen YB und Thun können Sie am Sonntag ab 15:40 Uhr live auf SRF zwei mitverfolgen.

Die Zahlen lügen nicht: 8 Tore sind Minuswert, mehr als 22 Gegentore hat auch niemand kassiert.

Dass wir sehr ineffizient waren, stimmt. Simone Rapp hatte das Glück noch nicht auf seiner Seite. Wäre seine Trefferquote «normal», könnte er Leader der Torschützenliste sein – und wir im Mittelfeld der Tabelle. Hoffentlich gibt ihm das letzte Tor gegen Basel Auftrieb. Eine andere Statistik sagt aber auch, dass wir am zweitmeisten Topchancen kreieren. Das zeigt, dass viel Qualität da ist. Der Knopf muss einfach einmal aufgehen. Am besten schon am Sonntag gegen YB.

Video
Rapp trifft gegen Basel zur Führung
Aus Sport-Clip vom 19.10.2019.
abspielen. Laufzeit 22 Sekunden.

Wo setzen Sie konkret an?

Die aktuelle Tabelle erzählt nicht die ganze Wahrheit. Alles, was jetzt ist, ist nicht mehr als eine Zwischenbilanz. Wenn wir schon März oder April hätten, wäre ich ganz anders beunruhigt. 4, 5 Spiele in dieser Saison hätten wir gewinnen können. Was man nicht vergessen darf, ist, dass auch beim Fussball Menschen am Werk sind. Man kann nicht einfach einen Roboter programmieren und dann läuft es. Vieles läuft im Kopf ab; mit dem Druck, der Erwartungshaltung und den verletzten Spielern nimmt alles eine eigene Dynamik an. Im Mentalen muss es passen.

Arbeiten Sie mit einem Mentaltrainer oder ist da Ihre grosse Erfahrung aus der Profikarriere hilfreich?

Im ganzen Staff ist viel Erfahrung vorhanden, das hilft sicher. Gleichzeitig gibt es um den Klub herum auch externe Leute, die uns im Mentalen helfen, nicht erst seit heute. Aber es ist klar, dass mehr in diesem Bereich gearbeitet werden muss, wenn es nicht läuft – gerade mit jungen Spielern.

War es rückblickend gesehen nicht falsch, auf der Torhüterposition gewechselt zu haben und das Team weiter zu verunsichern?

Unsere Philosophie ist ganz klar, dass wir auf eine Nummer 1 setzen. Guillaume Faivre hatte zum Saisonstart einige «Böcke» drin. Wir mussten ihn deshalb rausnehmen, um ihn vor dem Druck von aussen zu schützen. Das hatte aber nichts damit zu tun, dass wir keine Nummer 1 haben. Wir haben aber zuletzt gemerkt, dass uns Faivre auf dem Platz als Typ guttut. Seit er wieder zwischen den Pfosten steht, hat er sich bewährt und knüpft an seine starke letzte Saison an. Der Wechsel hat also sicher nicht zu einer Verunsicherung geführt.

Wir spielen gepflegten Fussball mit vielen Chancen, die Ineffizienz ist unser Problem.

Ein anderer «Typ» ist Dennis Hediger. Er ist seit 8 Monaten verletzt. Wie sehr fehlt er?

Wir haben schon vor seinem Ausfall gewusst, dass er ein wichtiger Spieler ist. Er hat sich bei uns in den letzten Jahren auf und neben dem Platz wahnsinnig entwickelt. Seine Ausstrahlung und Persönlichkeit sind unglaublich, er ist ein ständiger Antreiber. Aber was hätten wir vor seinem Ausfall tun sollen? Neben einem solchen Alphatier kann man kein zweites haben, das man sich auf Vorrat warmhält. Die anderen Spieler machen einen tollen Job und entwickeln sich gut, sie sind aber noch ein wenig überfordert. Sie schaffen es derzeit noch nicht, diese Lücke ganz zu schliessen. Es wäre eine grosse Erleichterung, wenn Dennis zurückkäme. Wann dies sein wird, wissen wir aber noch nicht.

Audio
«Hediger ist ein echter Antreiber»
01:35 min
abspielen. Laufzeit 1 Minute 35 Sekunden.

Kompliziert könnte es auch neben dem Platz werden. Ein Abstieg könnte die Existenz Thuns gefährden. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

Wir sind uns dessen bewusst und leben seit Jahren mit diesem Druck. Manchmal – wenn es besser läuft, wie in der letzten Saison – ist es einfach, damit umzugehen. Wir versuchen, Gedanken daran von uns fernzuhalten und nicht zu oft zu erwähnen. Es ist auch für die Fans, die Sponsoren und die Region zermürbend und unangenehm.

Gibt es ein Ultimatum, das Sie sich gesetzt haben, bis Sie handeln, damit es nicht zum Abstieg kommt?

Nein, ein Ultimatum gibt es nicht. Das macht man nur, wenn man nicht zu 100 Prozent vom Trainer und der Mannschaft überzeugt ist. Es wäre in der aktuellen Situation völlig kontraproduktiv, personell etwas zu verändern. Die ganze Schweiz würde sich fragen, was bei uns los ist. Wir spielen gepflegten Fussball mit vielen Chancen, die Ineffizienz ist unser Problem. Da kann der Trainer nicht viel dafür.

Andres Gerber

Box aufklappen Box zuklappen

Der 46-Jährige spielte ab 1992 17 Jahren lang in der Super League für YB, Lausanne, GC und Thun. 2009 trat er als Profi zurück und wurde Sportchef bei den Berner Oberländern. In diesem Sommer feierte er sein 10-jähriges Jubiläum in dieser Funktion.

Sendebezug: SRF zwei, sportlive, 20.10.19, 15:40 Uhr

Meistgelesene Artikel