Es geht ein Raunen durchs Stade de Genève, als sich Lia Wälti auf den Boden setzt, sich ans Knie fasst. Es läuft die 66. Minute. Die Euphorie, dass man nach aktuellem Stand (einem 0:0 gegen Finnland) im Viertelfinal stünde, wirkt für einen Moment wie weggeblasen. Zu gross die Angst, dass es das mit der EM für die Kapitänin war. Doch nach kurzer Pflege kann Wälti die Partie am letzten Donnerstag beenden – und am Ende den historischen Einzug unter die letzten Acht bejubeln.
Sie muss viel dafür tun, um überhaupt auf dem Platz stehen zu können: «Physio, Osteopathie, Regeneration», zählt Wälti wenige Tage später in einer Medienrunde auf. «Mir tut Wasser immer gut und ein Mix aus Wärme und Kälte. Ich probiere wirklich alles aus.» Zu weit vorausblicken mag sie nicht: «Es gibt gute und schlechte Tage. Die schlechten muss ich überstehen, an den guten Tagen Energie sammeln.»
Niemand eroberte öfter den Ball
Gäbe es da nicht die Vorgeschichte ums neue «Knie der Nation», wären da nicht die prominenten Bandagen am Bein der Arsenal-Legionärin, die jedes Training, jedes Spiel begleiten: Man würde nicht ahnen, wie fragil ihr Gesundheitszustand ist. Die vielen gewonnenen Zweikämpfe, die magistralen Zuspiele, die Ballsicherheit. Wälti ist auch an diesem Turnier Taktgeberin.
Ich finde, kein Mensch ist so viel wert, wie ein Fussballer verdient.
Die Zahlen, die die Uefa liefert, untermalen diesen Eindruck. 26 Mal hat Wälti den Ball erobert, keiner anderen Akteurin ist das öfter gelungen. Mit 147 gespielten Pässen (bei einer starken Quote von 86 Prozent angekommener Zuspiele) liegt sie im gesamten Turnierranking auf Rang 15. Wenig überraschend sind in dieser Kategorie vor Wälti unter anderen sechs Spanierinnen zu finden.
Als Captain muss sie sich an jenem Montag an der Medienkonferenz auch Grundsatzfragen stellen. Wie sie die finanzielle Komponente des Viertelfinal-Einzugs beurteile? «Es ist wichtig, dass von der Uefa mehr Geld ausbezahlt wird.» Der Frauen-Fussball bewege sich in eine richtige Richtung. «Die Prämien sind sicherlich höher als je zuvor.» Das sei wichtig für Spielerinnen, die immer noch nicht gut verdienen.
Der Frauen-Fussball ist familiär, zugänglich, ehrlich und sicher.
Zur Frage, ob Männer- und Frauen-Fussball gleichberechtigt sein sollen, findet Wälti klare Worte. Man dürfe unter dieser Forderung nicht verstehen, «dass wir denselben Lohn wollen». Schliesslich seien die Löhne bei den männlichen Stars exorbitant: «Ich finde das ein bisschen unmenschlich. Ich finde, kein Mensch ist so viel wert, wie ein Fussballer verdient.»
Vielmehr gehe es darum, dass Mädchen dieselben Bedingungen wie Jungs vorfinden. Und ohnehin solle der Frauen-Fussball sich selbst treu bleiben: «Er ist familiär, zugänglich, ehrlich und sicher. Das schönste Feedback ist, dass es sehr friedlich war.»