Die Vorzeichen vor dem Meeting in Grosseto (ITA) vor drei Wochen waren eher ungünstig. Annik Kälin hatte wegen hartnäckiger Rückenbeschwerden seit vergangenem Juni pausieren müssen und kehrte mit wenig Anhaltspunkten auf die Wettkampfbühne zurück.
Um die Belastung zu dosieren, setzte sie im Training primär auf Sprints. «Von daher wusste ich, dass die Schnelligkeit da war. Aber gewisse Disziplinen konnte ich über nahezu zwei Jahre hinweg fast nicht ausüben», rekapituliert die Bündnerin.
Der Rückzug nach der Einsicht
Umso verblüffender ist ihr Wiedereinstieg zu werten. Die Siebenkämpferin schraubte ihre eigene Bestleistung um über 200 Punkte auf ein Total von 6398 hoch. Noch nie erreichte eine Schweizerin einen besseren Wert. Weltweit belegt sie mit dieser Ausbeute Rang 23 in der Jahresrangliste. Dass sie auf Anhieb gleich wieder eine solche Konstanz hinkriege, «damit habe ich nicht gerechnet».
Über Götzis am letzten Mai-Wochenende soll der Weg sie nun an die EM nach München führen und davor gerne an die WM in Eugene, falls sie auch diese Limite schafft. Schon vor etwas mehr als einem Jahr hatte sich Kälin ein Ticket für kontinentale Elite-Titelkämpfe – damals in der Halle im polnischen Torun – verdient. Sie musste dann aber den Wettkampf über die 5 Disziplinen aufgeben.
Eine touchierte Hürde machte ihrem lädierten Rücken wieder zu schaffen. «Dies war schon länger meine Schwachstelle. Irgendwann ignoriert man leider die Schmerzen. Zudem wollte ich die EM keinesfalls sausen lassen, denn es handelte sich um meine erste geschaffte Quali für Elite-Titelkämpfen.» Schweren Herzens entschloss sich die 22-Jährige für einen Abbruch der Olympia-Saison.
«Letztlich war es auch eine Erleichterung: Einfach alles auskurieren und ausheilen lassen», berichtet sie über ihren Leidensweg. Und der absolute Stillstand mündete mittlerweile in einem bemerkenswerten Fortschritt.
Es liegt noch viel Potenzial brach
Kälin wird seit ihren ersten Gehversuchen im Alter von 12 Jahren ausschliesslich von ihrem Vater Marco Kälin betreut, obschon dieser ein Quereinsteiger ist. Die Bronzegewinnerin der U20-EM von 2019 spricht von einer gut funktionierenden und fruchtenden Zusammenarbeit. Deshalb werden die beiden auch weiter auf diesen individuellen, familiären Weg setzen.
Für die Zukunft nimmt sich die angehende Physiotherapeutin vor, sich der Weltspitze weiter zu nähern – und träumt als ehrgeizige Athletin durchaus auch gross. «Ich sehe noch überall Potenzial.» Im Video unten erfahren sie die weiteren Ziele von Kälin.