Geben ist seliger als nehmen. Das gilt gerade in der Weihnachtszeit und am Stephanstag wohl auch für Gabi Timar. Die Schweizer Boxerin will dann so richtig «austeilen», denn sie kämpft ausgerechnet an jenem Tag, den die Briten Boxing Day nennen, um den WM-Titel im Atomgewicht.
Die Vorfreude ist gross, auch wenn die Frau mit Kampfname «Balboa» weiss: «Es ist ohne Zweifel der wichtigste Moment meiner Karriere. Ich spüre den Druck, von aussen, aber auch von mir.» Die 39-Jährige wechselt für den WM-Kampf in eine tiefere Gewichtsklasse – ins Atomgewicht (bis 46,2 Kilogramm). Der Titel wurde frei, weil die amtierende Weltmeisterin Tina Rupprecht im Oktober ihre Schwangerschaft und gleichzeitig ihr Karriereende verkündete.
Sie schaut die Kämpfe ihrer Gegnerin nicht
Ein Erfolg im Berner Kursaal über die noch ungeschlagene Japanerin Marina Loreto wäre historisch. Noch nie hat eine Frau im Schweizer Boxsport einen WM-Titel ihr Eigen genannt. Zwar gelang dies der Thunerin Christina Nigg 1998. Aber da Frauen das Boxen in der Schweiz noch nicht erlaubt war, errang sie den Titel unter einer amerikanischen Lizenz.
Doch zurück in die Gegenwart: Auf dem Papier ist es eine ebenbürtige Angelegenheit. Loreto ist die Nummer 4, Timar die 3 in der WBO-Rangliste der leichtesten Gewichtsklasse.
Was weiss die gebürtige Rumänin über ihre Kontrahentin? «Ich weiss nicht viel über sie, schaue ihre Kämpfe nicht an. Mein Coach Angelo Gallina macht das.» Ohnehin wolle sich Timar ganz auf sich selbst konzentrieren. Und eine ihrer grossen Stärken: «Ich bin mental sehr stark, das ist im Boxen in allen Phasen sehr wichtig.»
In ihrem 18. Profi-Kampf könnte Timar also ihren rasanten Aufstieg mit einem WM-Titel krönen. Wäre es die Erfüllung eines Kindheitstraums? «Ich war von Anfang an sehr realistisch, es war zunächst kein Traum», verneint sie, die erst mit 28 Jahren mit dem Boxen begann.
Für mich gibt es nur ein Ergebnis: gewinnen.
Im April 2023 hatte sich Timar den Europameistertitel der European Boxing Union (EBU) erkämpft. Damals bodigte sie die Italienerin Giorgia Scolastri knapp nach Punkten. Danach fing das Träumen an. Ihre klare Kampfansage für den Fight mit Loreto: «Für mich gibt es nur ein Ergebnis: gewinnen.»
Um diesen vorläufigen Höhepunkt zu erreichen, hat die studierte Juristin viel investiert: «Es hat fast 10 Jahre gedauert, bis wir an diesem Punkt angekommen sind. Es war viel Verzicht. Mein Klub und Trainer haben alles getan, um mir diese Chance zu ermöglichen.»
Ausgerechnet an Weihnachten könnte nun Timars spät geträumter Traum wahr werden. Dazu muss sie einfach nur die festliche Regel befolgen: mehr geben, weniger nehmen.