Am 25. Januar 1924 wurde in Chamonix eine internationale Wintersportwoche eröffnet. Zwei Jahre später erklärte das Internationale Olympische Komitee (IOC) diese rückwirkend als erste Olympische Winterspiele der Geschichte. Der Anlass war damals quasi ein Anhängsel, ein Vorbote der Sommerspiele, die 1924 in Paris stattfanden. Eine ganz wesentliche Rolle spielte dabei auch ein Bahnhof. Aber der Reihe nach.
Von Olympia ist vor 100 Jahren noch nicht die Rede, als die knapp 300 Athleten sich zur Eröffnungsfeier am 24. Januar in Chamonix treffen, um in 7 Sportarten ihre Besten zu ermitteln. 13 Frauen sind darunter, sie gehen ausschliesslich im Eiskunstlauf an den Start. Medaillen werden vergeben im Vierer- und Fünferbob, im Eishockey, Eisschnell- und Eiskunstlauf, im Curling, Ski Nordisch und in der sogenannten Militärpatrouille.
Als alles noch überschaubar war
Die Namen der Protagonisten dürften heute nur noch einem kleinen Kreis bekannt sein. Eine Teilnehmerin allerdings startet von Chamonix aus eine Weltkarriere: Die Norwegerin Sonja Henie, das «Häseken», mit 11 Jahren die bis heute jüngste Olympia-Teilnehmerin, sitzt bei ihrem Debüt mehr auf dem Eis als dass sie läuft, wird aber mit 3 Olympiasiegen, 10 WM- und 6 EM-Titeln zur bis heute erfolgreichsten Läuferin der Geschichte.
88 Journalisten und insgesamt 10'000 Zuschauer begleiten die Wintersportwoche in Chamonix. Das Spektakel auf Eis und Schnee ist für damalige Verhältnisse ein voller Erfolg. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Bahnhof. Dieser wurde zum Faustpfand in der Entscheidungsfindung darüber, welche französische Gemeinde zur Einstimmung auf die Olympischen Sommerspiele 1924 in Paris eine erstmals geplante Wintersportwoche ausrichten darf.
Chamonix am Fuss des mächtigen Mont-Blanc-Massivs hatte anders als die Mitbewerber in den Vogesen und den Pyrenäen diesen Bahnhof, der Teilnehmern und Zuschauern eine bequeme Anreise in die Alpen ermöglichte.
Die zunehmende Suche nach Schnee
100 Jahre nach den ersten Olympischen Winterspielen der Geschichte suchen diese angesichts des rasant voranschreitenden Klimawandels mehr und mehr nach ihrer Berechtigung – und nach Schnee. Im Vorfeld der Sommerspiele von Paris wird das IOC in wenigen Monaten den Wintergastgeber für 2030 verkünden: Frankreichs Bewerbung mit den Alpen und Nizza wurde vom IOC zum «gezielten Dialog» eingeladen, der praktisch einem Zuschlag gleichkommt. 2034 ist Salt Lake City der designierte Gastgeber. Und dann?
Im vergangenen Oktober hat das IOC bereits auf die möglicherweise weitreichenden Folgen des Klimawandels für die Winterspiele hingewiesen. Eine vom IOC in Auftrag gegebene Studie ergab, dass ab dem Jahr 2040 wohl nur noch 10 Länder weltweit Schneesicherheit für den Zeitraum der Spiele garantieren können. Die Diskussion über ein mögliches Rotationsprinzip bei der Vergabe und ein anderes Wettkampfprogramm ist bereits angestossen.
Der Olympiasieger mit dem Bob von der Tombola
Am kleinen Bahnhof im tief verschneiten Chamonix hat man Sorgen dieser Art vor 100 Jahren nicht. Der Schweizer Eduard Scherrer sorgt sich vielmehr um seinen sperrigen und schweren Bob, den es in dem vergleichsweise kleinen Zug zu transportieren gilt. Das hölzerne Ungetüm hat Scherrer erst kürzlich bei einer Tombola seines heimischen Turnvereins gewonnen, in Chamonix rempelt er darin zusammen mit drei Schweizer Kumpels erstmals eine Bobbahn runter. Seinen Schlitten hat er «Acrobate» getauft – am Ende ist er Olympiasieger.