Nach dem Lockdown im Frühling war Giulia Steingruber nicht sicher, ob ihr Körper und ihr Geist die hohen Belastungen des Kunstturnens noch länger aushalten . Doch diese Zweifel hat sie schon bald wieder verbannt: «Im Sommer hatte ich alle meine Elemente relativ schnell wieder zurück und konnte auch schon Neues lernen. Da habe ich gemerkt, dass das Potenzial, die Freude und die Motivation immer noch da sind.»
Mutig an die neue Aufgabe
Die Ostschweizerin möchte noch besser werden. Sie trainiert gerade zwei neue Sprünge. Einen davon, den Yurchenko mit Doppelsalto rückwärts gehockt, hat noch keine Frau gezeigt. «Für mich würde ein Traum in Erfüllung gehen, wenn ich diesen Sprung stehe. Die erste Frau zu sein, wäre eine grosse Ehre.» Ihre Gesundheit wolle sie dafür aber nicht riskieren und im Zweifelsfall auf funktionierende Sprünge zurückgreifen.
Schon näher am Erfolg ist sie bei ihrem zweiten neuen Sprung: ein Yurchenko mit halber Drehung und anschliessendem Salto vorwärts gestreckt mit anderthalb Drehungen. «Koordinativ ist der Sprung für mich noch ein bisschen schwierig», relativiert sie, «wenn ich aber dranbleibe, kann es gut kommen. Ich muss mich einfach mehr trauen.»
Ich habe schon immer gesagt, dass ich dieses Kapitel noch nicht schliessen konnte.
Ein neues Element zu lernen, braucht Überwindung. Deshalb trainiert Steingruber zurzeit zweimal pro Woche im Regionalen Leistungszentrum Solothurn, wo sie die Sprünge in einer Schnitzelgrube üben kann. Wenn sie misslingen, verletzt sie sich so bei der Landung nicht. Später, wenn die Automatismen einmal drin sind, versucht sie die Sprünge auf normalem Untergrund.
Trotz Bronze: Offene Rechnung mit Olympia
Im Hinterkopf hat sie natürlich die Olympischen Spiele in Tokio von diesem Sommer. 2016 holte sie in Rio de Janeiro Bronze am Sprung – bei der Bodenübung patzte sie zweimal und vergab ein Topresultat. «Am Boden habe ich noch eine Rechnung offen. Ich habe schon immer gesagt, dass ich dieses Kapitel noch nicht schliessen konnte», blickt die 26-Jährige voraus.
Am Boden sieht Steingruber auch bei sich selber noch das grösste Potenzial. Zudem sei das Niveau am Sprung in den letzten Jahren stark gestiegen. Wo sie momentan im Vergleich zur internationalen Konkurrenz steht, ist nach eineinhalb Jahren ohne Wettkampf schwierig zu sagen. Deshalb ist für die Ostschweizerin die Heim-EM Ende April in Basel eine sehr wichtige Standortbestimmung auf dem Weg an die Olympischen Spiele in Tokio.