Nino Schurter, Sie haben an der Heim-EM die angestrebte Goldmedaille verpasst. Können Sie sich über Silber freuen?
Schurter: Klar war es mein Ziel, in Bern vor Heimpublikum zu gewinnen. Ich habe mich gut vorbereitet und am Renntag auch fit gefühlt. Aber letztlich war ich einfach schwächer als Julien Absalon. Wenn einer besser fährt als ich, kann ich das akzeptieren. Insofern bin ich zufrieden mit der Silbermedaille.
In den vohergehenden Weltcup-Rennen konnten Sie Absalon jeweils im Sprint besiegen. Haben Sie rasch gemerkt, dass er stärker ist?
Absalon fuhr wie erwartet, attackierte wie in den letzten Rennen. Ich konnte aber ebenfalls aggressiv fahren und ihn fordern. Dass es extrem schwierig wäre, ihn abzuhängen, wusste ich. Irgendwann kam von seiner Seite aber eine Attacke nach der anderen und ich konnte einfach nicht mehr mithalten.
Habe mich sehr gut gefühlt - bis er mich 'kaputt gefahren' hat.
War also die Tagesform ausschlaggebend?
Wahrscheinlich schon. Vielleicht hatte ich auch ein zu gedrängtes Programm im Vorfeld mit zwei Weltcup-Rennen, dem Staffel-Einsatz am Donnerstag und den übrigen Verpflichtungen rund um die Heim-EM. Vielleicht war ich deshalb ein bisschen weniger frisch als Absalon. Trotzdem habe ich mich sehr gut gefühlt, bis er mich ‚kaputt gefahren‘ hat.
Sie haben selbst den Titel als Ziel deklariert. Hat sich ihre Einstellung zum Sieg oder eben den Podestplätzen mit den Erfolgen der letzten Jahre verändert?
Ja. Als ich bei den Olympischen Spielen von London im vergangenen Sommer Silber gewann, war ich zuerst einfach nur enttäuscht. Dabei ist es ja ein riesiger Erfolg, eine Olympiamedaille zu gewinnen. Es ist für einen Athleten schon eine schwierige Situation, wenn die Ansprüche so hoch werden, dass nur noch der Sieg zählt. Deshalb versuche ich, nicht ausschliesslich auf den Sieg zu fokussieren, sondern zu akzeptieren, dass die Tagesform und auch das Glück gegen mich sprechen können.
Kommt der Druck, gewinnen zu ‚müssen‘, von Ihnen selbst oder wird er von aussen herangetragen?
Beides. Ich habe selbst hohe Erwartungen an mich. Wenn du Weltcuprennen gewinnst, ist klar, dass du auch an einer EM zuoberst stehen willst. Ich will mein Bestes geben für das Publikum und bin entsprechend enttäuscht, wenn ich den Sieg nicht holen kann. In Bern war es schön zu erleben, wie mich das Publikum unterstützt hat, auch als klar war, dass ich nicht Gold holen würde.
Sie waren erstmals überhaupt bei einem Elite-Rennen einer EM am Start. Ist die sportliche Bedeutung der EM so gering?
In den vergangenen Jahren lag die EM geographisch oder zeitlich immer schlecht. Ich habe wegen meiner Vorbereitung auf Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften auf einen Start verzichtet. Heuer war das Teilnehmerfeld der EM aber hochkarätig wie nie zuvor, das hat sie enorm aufgewertet. Die Weltelite war fast geschlossen am Start, mit Ausnahme des Australiers Daniel Macconnell sowie des Tschechen Jaruslav Kulhavy, der sich gerade auf die Marathon-WM vorbereitet.
Rio ist ein grosses Ziel - wir sind daran, das Team aufzubauen.
Wie wichtig ist die EM für Sie aus wirtschaftlicher Sicht als Plattform um sich und ihre Sponsoren dem Heimpublikum zu präsentieren?
Ein solcher Anlass in der Schweiz ist immer eine Riesenchance, sich zu präsentieren. Die Organisatoren haben es hervorragend verstanden, unseren Sport mit den Events in der Stadt Bern zu den Leuten zu bringen. Sie haben ein riesiges Spektakel organisiert. Der grosse Publikumsaufmarsch gab ihnen Recht.
Was sind Ihre Ziele für den Rest der Saison und die längerfristige Zukunft?
Ich führe den Weltcup an und will meinen Sieg aus dem Vorjahr wiederholen. Ende August steht als Saisonhöhepunkt die WM in Südafrika an. Auf dem Kurs von Pietermaritzburg konnte ich die letzten beiden Weltcuprennen gewinnen. Es ist eine sehr technische Strecke, die mir gut liegt. Entsprechend rechne ich mir gute Chancen aus. Langfristig sind die Olympischen Spiele von Rio de Janeiro 2016 ein grosses Ziel. Wir sind momentan daran, das Team dafür aufzubauen.