Jasmin Liechti ist ein typisches Beispiel, wie junge Frauen in der Schweiz den Weg zum Radsport finden. Die 21-Jährige aus Burgdorf war früher im Orientierungslauf unterwegs und gehörte dem Nachwuchskader Bern-Solothurn an. Erst vor drei Jahren entschied sie sich, aufs Velo umzusatteln. «Ich merkte, dass ich im OL langsam an meine Leistungsgrenzen stiess. Als während der Corona-Pandemie keine Wettkämpfe mehr stattfanden, schaute ich mich um und wechselte zum Velofahren.»
Sie schloss sich dem RV Ersigen an und machte dort Bekanntschaft mit Marlen Reusser. «Weil sie wie ich eine Quereinsteigerin war, konnte sie mir wichtige Tipps geben», so Liechti. Doch bei den Ratschlägen allein blieb es nicht. Reusser schrieb ihre Trainingspläne und nahm ihr auch die Angst. Denn als Neuling war Liechti in ihren ersten Rennen heillos überfordert. «Ich wusste anfangs nicht, wie ich mich im Feld bewegen musste. Mir fehlten die Erfahrung und die technischen Fähigkeiten.»
Kraft und Motivation geschöpft
Dank Reussers Hilfe fand Liechti neue Motivation. «Sie hat mir Kraft und Mut gegeben weiterzumachen.» Die Erfolge stellten sich schnell ein. Liechti fuhr an den Schweizer Meisterschaften auf der Bahn aufs Podest, wurde Teil des Nationalkaders, später auch auf der Strasse.
Vor zwei Jahren wechselte sie ins Team WCC, ein Conti-Team des Weltverbands UCI. «Es ist für Athletinnen, hauptsächlich aus Ländern, in denen der Frauen-Radsport nicht so gut entwickelt ist. Sie erhalten eine Chance, in Europa Rennen zu fahren», erklärt Liechti. Da das Team in Aigle stationiert ist, dürfen hin und wieder auch Schweizerinnen mitmachen. So hat vor Liechti auch schon Marlen Reusser davon profitiert.
Junge begeistern
Am Sonntag war die dreifache Zeitfahr-Europameisterin die grosse Abwesende in Zürich. Es hätte ihr grosser Tag werden können, wäre da nicht das Post-Covid-Syndrom, das sie seit Wochen ausser Gefecht setzt. Der Kontakt mit ihrer früheren Mentorin sei zwar weniger geworden, sie würden sich aber gelegentlich noch über Whatsapp austauschen, bestätigt Liechti. So gehörte Reusser am Sonntag nach dem Silber-Coup auch zu den Gratulantinnen.
Liechti ist sich sicher: «Ohne Marlens Hilfe wäre ich wohl nicht hier und hätte diese Medaille um den Hals.» Die junge Bernerin, die Teilzeit an der Universität Bern Betriebswirtschaftslehre und Sportwissenschaften studiert, hofft, dass sie mit ihrer Geschichte Junge für den Radsport begeistern kann. «An der Rangverkündigung habe ich ganz viele strahlende Kinderaugen gesehen. Ich hoffe, dass ich mit dieser Medaille etwas bewirken kann.»