Eine solch unerwartete Wende zum Schluss der Tour de France hat es seit 31 Jahren nicht mehr gegeben. Damals fing der Amerikaner Greg LeMond auf der letzten Etappe, ebenfalls ein Zeitfahren, den führenden Franzosen Laurent Fignon noch ab. Einen Rückstand von 50 Sekunden verwandelte er in einen Vorsprung von 8 Sekunden – den knappsten Abstand der Tour-Geschichte.
Ich bin enttäuscht. Ich werde weinen. Ich habe schon geweint.
Roglic wurde am Samstag im abschliessenden Zeitfahren um einiges deutlicher geschlagen. Die 57 Sekunden Rückstand auf seinen 9 Jahre älteren Landsmann verwandelte Tadej Pogacar in einen Vorsprung von fast einer Minute. Schwer geschlagen und mit kreideweissem Gesicht erreichte Roglic die Ziellinie.
«Schmerz und Trostlosigkeit. Die Wunde wird schwer zu schliessen sein», schrieb die französische Sportzeitung L'Equipe , nachdem Roglic den schon sicher geglaubten Gesamtsieg noch aus der Hand gegeben hat.
Der letzte Anstieg war einer zu viel
Fignon hat die Tour nach der schmerzhaften Niederlage von 1989 nie mehr gewinnen können. Auch Roglic dürfte lange zu kauen haben. «Im Moment kann ich nicht klar denken, ich habe keinen klaren Plan für die Zukunft. Es ist, als wäre mein Kopf leer», sagte Roglic im mit Abstand schwierigsten Moment seiner Radsport-Karriere.
Die gesamte Rundfahrt hatte der frühere Skispringer mit seinem Jumbo-Visma-Team dominiert. Was sollte da schiefgehen, wo er doch als extrem starker Zeitfahrer klar favorisiert war? Vielleicht zerbrach Roglic letztlich genau an diesem Druck. «Ich bin enttäuscht. Ich werde weinen. Ich habe schon geweint», sagte der oft als emotionslos verschriene Slowene und gab zumindest einen kleinen Einblick in sein Seelenleben.
Von der Skisprung-Sackgasse zum Gewinner des wichtigsten Radrennens der Welt – aus einer der vermeintlich bemerkenswertesten Sportgeschichten der vergangenen Jahre wurde eine der schmerzhaftesten Wendungen in einem Finale der Tour de France.