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Den Olympia-Blues überwunden Nina Christen schiesst wieder

Olympiasiegerin Nina Christen fiel nach ihrem riesigen Erfolg in Tokio in eine tiefe Erschöpfung. Ein halbes Jahr lang ging nichts mehr. Jetzt ist der Tatendrang zurück, und mit ihm neue Ziele.

Fünf Jahre lang hatte alles im Dienst der Mission Tokio 2020 gestanden. Selbst eine Autofahrt ohne Gedanken rund um die Ausbalancierung von Geist, Seele und Körper wäre verlorene Zeit gewesen. Nina Christen wollte das so auf ihrem Weg von den Spielen in Rio zu jenen in Japan, die schliesslich im Sommer 2021 über die Bühne gingen.

Die Gewehrschützin wollte die jahrelange, perfekte Annäherung an die stabile maximale Leistungsfähigkeit am Tag X. Nur so war der Olympiasieg möglich. Alles ging auf. Dann kam die Leere. Für Christen, die Frau mit Nerven aus Stahl, mit mentalen Kräften wie kaum ein Mensch, war ein einfacher Tagesablauf auf einmal eine grosse Herausforderung.

Und schon bald waren die Ellenbogen blau

Mit dem Jahreswechsel spürte die 28-Jährige, dass die Energie wieder da war, und mit ihr die Lust auf Leistung, auf abertausende von Wiederholungen im Schiessstand, auf einen weiteren olympischen Zyklus.

Aber der Körper machte zunächst nicht mit. Nach den ersten Einheiten in der Position liegend waren die Ellenbogen blau, die Hand schmerzte, und das alles nach einem Viertel des Pensums, das vor einem Jahr noch problemlos möglich gewesen war. Mittlerweile geht’s physisch besser, der Körper gewöhnt sich wieder an die spezifischen Belastungen. Das Mentale allerdings, das ist eine andere Geschichte.

Man ist nicht jeden Tag die Gleiche

Christen führt seit langem ihr persönliches Mentalbuch. Darin hält sie ihre eigenen Erkenntnisse fest, oder solche, die sich aus der Zusammenarbeit mit Sportpsychologe Jörg Wetzel ergeben. Vieles, was in diesem Buch steht und die mentale Stärke der Olympiasiegerin formte, hilft Christen auch jetzt.

Zum Beispiel die Frage, die sie sich jeden Morgen und oft auch tagsüber stellt: «Wie muss ich heute mit mir umgehen?» Die eingespielte Routine ist wichtig, aber ebenso die Erkenntnis, dass man nicht jeden Tag die Gleiche ist, dass man sich auch im Verlaufe der Zeit verändert. Zum Beispiel nach Olympiasieg und Erschöpfung.

Hoch hinaus lautet das Motto

So hat Nina Christen auch gespürt, dass sie ihr Leben als professionelle Sportschützin ein wenig verändern muss. Sie arbeitet neu mit dem Dänen Torben Grimmel zusammen, eigentlich Trainer einer anderen Leistungsgruppe innerhalb von Swiss Shooting. Neue Impulse bringen neue Reize, bringen Abwechslung.

Und dann verwirklicht sich Christen einen Traum. Früher stand sie mit ihrem Bruder stundenlang am Zaun des Flugplatzes und schaute fasziniert dem Treiben zu. Anfang Jahr hat sie die Ausbildung zur Helikopterpilotin begonnen. Was für ein perfektes Sinnbild dafür, dass Christen nach dem Höhenflug von Tokio und dem anschliessenden Grounding jetzt wieder voll am Durchstarten ist.

SRF zwei, «Sportpanorama», 03.04.2022 18:00 Uhr

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